Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
langsamen Reisens, weil er an Flugangst leidet. Er musste Alternativen finden, und eben das zeigte ihm, was es heißt, wirklich zu reisen. Mittlerweile ist er sehr dankbar für seine Flugangst, ohne die er niemals das langsame Reisen entdeckt hätte. Es war nicht immer leicht für ihn. (Und wir sollten an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass »müßig« kein Synonym für »einfach« oder »bequem« ist. Tatsächlich kann der Wunsch nach Müßiggang, oder nennen wir es Freiheit, das Leben oftmals ziemlich beschwerlich machen.) Wenn Dans Freunde in ein Flugzeug springen, um in Polen an einer Hochzeit teilzunehmen, muss er mit dem Zug hin- und auch wieder zurückfahren. Seine Art zu reisen kann beschwerlich sein. Doch zumindest fühlt er sich dabei lebendig; er trifft Menschen, er hört Geschichten, und es bieten sich ihm Anblicke, die dem Flugreisenden verborgen bleiben.
Ja, Dan nimmt das Ganze wirklich ernst. Eine seiner verrücktesten Eskapaden war eine einmonatige Spritztour durch Großbritannien, die er mit zwei Freunden in einem alten Milchwagen unternahm und von der er in diesem Buch erzählt. Das Wesentliche daran war, dass ihn diese Reise mit anderen Menschen zusammenbrachte. Wie oft trifft manschon jemanden am Flughafen, mit dem man ein Gespräch beginnen kann? Die Erfahrung hat Dan wieder in Verbindung mit seiner Umgebung gebracht: Er fand heraus, dass das Land voller hilfsbereiter Menschen ist, auch wenn die Zeitungen uns etwas anderes glauben machen wollen. Die Gemeinschaft ist in keinster Weise tot.
Slow Travel ist vor allem ein Loblied auf das Ungeplante, auf das Loslassen. Heutzutage ist das Reisen und besonders der Urlaub meist einem akribischen Zeitplan unterworfen. Für jeden einzelnen Tag sind Aktivitäten eingeplant. Es gibt eine Reiseroute, einen Busausflug, eine Stadtrundfahrt. Selbst diejenigen, die dafür bezahlt haben, um in ihrer Ferienanlage zu bleiben, witzeln darüber, es sei wie im Kriegsgefangenenlager Colditz. Doch wie schon Dr. Johnson bemerkte, »gibt es nichts Trostloseres als ein Unterhaltungsprogramm«. Geplanter Spaß wird den Erwartungen selten gerecht, und Dan ist sehr gut darin, das Gefühl der Leere zu beschreiben, das beispielsweise eine organisierte Besichtigungstour hinterlassen kann. Kinder mögen solche Ferien, weil sie viel Spaß auf der Wasserrutsche und mit dem ganzen Rest haben. Und diese Art von Ferien mag für Familien vielleicht das Richtige sein: Dan verschweigt die Tatsache, dass er nicht nur ein müßiger Reisender, sondern auch ein Fan von Centerparcs ist. Dennoch kann man kaum behaupten, dass ein solcher Urlaub irgendetwas mit Reisen zu tun hat. Er bietet nur eine kleine Auszeit.
Nein, die besten Abende in der Stadt und die besten Reiseerlebnisse sind häufig die ungeplanten: die zufälligen Begegnungen, die Freundlichkeit von Fremden und die unerwarteten Entdeckungen.
Wie ich bereits sagte, behauptet niemand, das müßige Reisen sei einfach. In diesem Buch gibt es viele berührende Geschichten von desaströsen Vorfällen; besonders peinlich istdie Geschichte von den zahlreichen Ausrutschern, die sich Dan mit seinem Sohn Wilf in einer eiskalten öffentlichen Badeanstalt in Budapest geleistet hat.
Dan achtet darauf, immer ein gutes Buch zur Hand zu haben: keinen herkömmlichen Reiseführer, sondern ein literarisches Werk, das etwas mit der Gegend, die er besuchen will, zu tun hat, oder eine aussagekräftige Biografie. Somit beinhaltet das Reisen für Dan ausgedehnte literarische und philosophische Reflexionen. Das müßige Reisen ist demnach das Gegenteil von Flucht – es ist vielmehr ein intensives und produktives Versenken in die eigene Innenwelt.
Lasst uns also sagen, dass das müßige Reisen mehr mit einer altmodischen Pilgerfahrt zu tun hat als mit der spaßüberfrachteten Auszeit von den Mühen des Alltags, die der moderne Urlaub darstellt. Ob man sie allein unternimmt, wie Christian in Bunyans Pilgerreise , oder gemeinsam, wie die Pilger in Chaucers Canterbury-Erzählungen (den wohl unterhaltsamsten Ferien aller Zeiten), es bleibt eine spirituelle Reise. Die Pilgerfahrt ist darauf ausgelegt, den Einzelnen wachsen zu lassen, ihm dabei zu helfen, mit sich selbst und mit anderen in Verbindung zu treten, und seine seelischen Verletzungen zu heilen. Kurz gesagt, sie ist therapeutisch. Es ist die Art des Reisens, die der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig preist, der sich als einer von Dans Lieblingsliteraten erweist. Zweig, der
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