Small World (German Edition)
Großzügigkeit. Sie war nicht der Typ, der etwas verschenkte. Sie war dieses Jahr vierzig geworden, und ihr hatte man auch nie etwas geschenkt. Wenn sie in den Spiegel schaute, etwas zu schlank für ihren Körperbau und etwas zu schmale Lippen für ihr Alter, hatte sie auch wenig Hoffnung, daß sich daran noch groß etwas ändern würde.
Aber Konrad Lang berührte eine Stelle in ihr. Er besaß etwas Vornehmes, sie konnte es nicht anders sagen. Wie er sich anzog, wie er sich benahm, auch wenn er sturzbesoffen war, wie er sprach und vor allem, wie er sie behandelte. Milord war ihr in den Sinn gekommen, von Édith Piaf (die sie nie hatte ausstehen können), als Konrad Lang bei seinem dritten Besuch im Rosenhof plötzlich feuchte Augen gehabt hatte. »Mais vous pleurez, Milord«, hatte sie gedacht und sich später, als es ruhiger geworden war, zu ihm gesetzt.
Barbara war eine große Anwältin seiner Sache. Wenn jemand im Rosenhof der Meinung war, es gebe traurigere Schicksale als seines, konnte sie sich ereifern. »Ein Leben lang den Tscholi von Thomasli spielen? Wenn der aus dem Gymnasium flog, mußte Koni mit ihm ins Internat. Wenn der aus dem Internat flog, flog Koni mit. Wenn der die Matur nicht bestand, durfte Koni sie auch nicht machen. Wenn der keinen Beruf lernen mochte, durfte Koni auch keinen lernen. Und als Thomas Koch dreißig wurde, hat er geheiratet und wurde in der Firma untergebracht. Und Koni stand da und guckte blöd.«
Als ihre einzige Freundin Doris Maag, die Politesse, bemerkte: »Mit dreißig kann man immer noch etwas lernen«, hatte Barbara ihn verteidigt:
»Er hat’s versucht. Er hatte zwar nichts gelernt, aber er besaß Manieren. Und viele Beziehungen aus der Zeit mit Thomas. In einer Privatbank war er und im Immobiliengeschäft. Aber immer, wenn es anfing zu laufen, stand Tomi vor der Tür. Ehekrise, Sommerskifahren, Scheidung, Fahrausweisentzug, Segeltörn auf dem Mittelmeer.«
»Und wovon lebte er die restliche Zeit?«
»Zuerst von Schulden bei Tomis Kumpanen. Und als denen zu blöd wurde, daß er sie nie zurückzahlte, von Jobs, die er für sie machte. Auf die Jacht aufpassen außerhalb der Saison, der senilen Mutter Gesellschaft leisten, die Ferienvilla verwalten, so Sachen.«
Auch auf die Frage, warum er sich das alles habe gefallen lassen, hatte sie eine Antwort parat: aus Dankbarkeit. Weil Thomas Koch seine Stiefmutter überredet hatte, Konrad aufzunehmen. Weil er ohne Thomas Koch heute nichts wäre.
Als Doris Maag sie fragte: »Und was ist er heute?«, hatte Barbara einen Moment überlegt und geantwortet: »Du solltest ihn Klavier spielen hören.«
Jetzt stand Barbara mitten im Trubel, brachte volle Biergläser und räumte leere weg, nahm Bestellungen zur Kenntnis und wischte abgezählte Beträge in ihr großes Portemonnaie unter der Servierschürze. Als sie Konrad sah, brachte sie ihm eine Stange Bier, in die sie vorher etwas Durchsichtiges aus einer Flasche geschüttet hatte.
Gegen sieben Uhr war der Rosenhof leer bis auf ein paar entschlossene Trinker und Konrad Lang vor seiner dritten verstärkten Stange.
Barbara nahm eine Flasche Weißwein aus der Kühlschublade, schenkte sich ein Glas ein und setzte sich damit zu Konrad.
»Erfolg gehabt?« fragte sie.
Konrad schüttelte den Kopf. »Urs.«
»Dann schreib ich dir das auf?«
»Geht das?«
Barbara zuckte die Achseln.
Am Abend nach dem Zusammenstoß mit Urs Koch nahm Barbara Konrad mit nach Hause. Nicht zum ersten Mal, sie hatte ihn auch schon früher manchmal mitgenommen, wenn er ihr zu leid tat oder wenn sie sich allein fühlte oder wenn sie Kurt, ihren verheirateten sporadischen Liebhaber, eifersüchtig machen wollte.
Das erste Mal machte Konrad, mehr aus Pflichtbewußtsein als aus Begierde – und weil der Gentleman ab und zu etwas haben muß, worüber er dann schweigt –, einen Annäherungsversuch, als sie dabei war, das Bett abzudecken. Sie lachte und schüttelte den Kopf, das war alles, was es brauchte, um ihn abzuwimmeln. Sie legten sich ins Bett, sie in einem ausgebeulten, verwaschenen Baumwollpyjama, er in der Unterwäsche, und Konrad erzählte ihr aus seinem Leben. Geschichten und Anekdoten aus der großen Welt der Schönen und Reichen, mit denen er seine Umgebung sein Leben lang unterhalten, amüsiert und mit der Zeit mehr und mehr gelangweilt hatte.
»Gloria von Thurn und Taxis hat dem Fürsten zum Sechzigsten einen Geburtstagskuchen mit sechzig Penissen aus Marzipan machen lassen«, erzählte er an
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