Small World (German Edition)
tat und nickte.
Sie gab Zellweger vierhundertfünfzig Franken für die ausstehenden drei Monate und zwölf Franken für die Fahrt, Resespese . Dann stand sie da mit dem ungelenken Buben und hatte das dunkle Gefühl, daß sie ihn ihr Lebtag nicht mehr loswerden würde.
Am Anfang gab es keine Probleme. Konrad war ein unaufdringlicher, anspruchsloser Junge und ein guter Gefährte für Thomas. Sie schickte beide in dieselben Schulen, sie spielten zusammen und machten gemeinsam ihre Schulaufgaben. Konrad übte einen wohltuenden Einfluß auf Thomas aus, der nicht gut allein sein konnte, aber auch dazu neigte, seine Umgebung zu dominieren. Konrad war geduldig und akzeptierte Thomas von Anfang an als die Nummer eins.
Die Probleme kamen erst später. Thomas entwickelte sich zu einem launischen jungen Mann, der es nirgendwo lange aushielt. Elvira hatte in jener Zeit andere Interessen und duldete es aus Bequemlichkeit, daß er das Leben eines Playboys führte. Sie sah ihm seine Kapriolen nicht nur nach, sie finanzierte sie auch noch generös. Und zu seinen Kapriolen gehörte Koni, den er verstieß und aufnahm, je nach Stimmungslage. Als Thomas dreißig wurde, beschloß sie, seinem süßen Leben ein Ende zu bereiten. Auf dem internationalen Parkett blieben ein paar finanzielle Verpflichtungen zurück – und Konrad Lang.
Und nun, weitere fünfunddreißig Jahre später, war er immer noch nicht aus ihrem Leben verschwunden. Und wurde auch noch frech.
Als Konrad Lang zum ersten Mal im Blauen Kreuz war, dachte er, der Geruch käme von all den alten Frauen. Erst als man ihm den Teller brachte, merkte er, daß es das Tagesmenü war, das so roch. Blumenkohl, Spinat, Karotten, Bratkartoffeln.
»Ist das hier auch vegetarisch?« fragte er. Er erhielt die spitze Antwort: »Sie haben den Gärtnerteller bestellt, ist es nicht recht?«
Inzwischen hatte er sich an das Blaue Kreuz gewöhnt. Er hatte sein eigenes Tischchen und die ältlichen Serviertöchter behandelten ihn wie ein Familienmitglied. »Herr Lang, das ›Cordon Bleu‹ ist gut, aber der gedämpfte Brüsseler ist bitter. Ich gebe Ihnen Kohlräbli anstatt.«
Konrad Lang saß vor einer »Schale Gold« und las die Zeitung, die in einer Holzklemme steckte und ihm automatisch mit dem Kaffee gebracht wurde. Er war etwas unruhig, gestern abend hatte ihn Barbara gefragt, ob er schon Antwort auf den Brief bekommen habe.
»Welchen Brief?« hatte er gefragt.
»Den Brief an Elvira Senn, den ich für dich eingeworfen habe. Der Brief, der dein Leben verändern soll.«
»Ach so, dieser Brief. Nein, noch keine Antwort«, hatte er gestammelt. Seither zerbrach er sich den Kopf darüber, was er wohl geschrieben hatte. Aber mehr als eine verschwommene Erinnerung an einen etwas eindringlichen Ton brachte er nicht zustande.
»Ist hier noch frei?«
Konrad blickte auf. Vor ihm stand eine Frau um die Fünfzig, guter Kopf, rostrotes Kaschmir-Set, Perlendoppelstrang, Flanellhose. Eine von uns, dachte er. Er stand auf.
»Ist hier noch frei?« fragte sie noch einmal.
»Selbstverständlich«, antwortete Konrad und zog den zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor. Etwas verwundert. Das Lokal war praktisch leer.
Als sie sich setzte, ging die Tür auf. Ein jüngerer Mann kam herein, schaute sich um, sah sie und näherte sich dem Tisch. Als er ihn fast erreicht hatte, griff die Frau nach Konrads Hand, zog sie zu sich herüber und fragte: »Hast du lange warten müssen, Schatz?«
Konrad Lang spürte, daß der Mann jetzt am Tischrand stand. Er blickte der Frau tief in die Augen, legte seine Linke über ihre Rechte und antwortete: »Fast ein ganzes Leben, Schatz.«
Der Mann stand am Tisch und wartete. Aber als weder Konrad noch die Fremde aufschauten, wandte er sich ab und ging rasch aus dem Lokal.
»Danke«, sagte die Frau. Dann seufzte sie erleichtert. »Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Das nenne ich eine gute Tat«, gab Konrad Lang zur Antwort. »Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?«
Die Frau hieß Rosemarie Haug, ihr Mädchenname, den sie nach ihrer Scheidung vor vier Jahren wieder angenommen hatte. Sie akzeptierte die Einladung, und es gefiel ihr, daß Konrad Lang keine Silbe über den Vorfall verlor. Ein Kavalier der alten Schule, dachte sie.
Dr. Peter Stäubli war Allgemeinmediziner und hatte vor kurzem seine Praxis ganz in der Nähe der Villa Rhododendron aufgegeben. Nun betreute er nur noch eine Handvoll seiner langjährigen Patienten. Unter anderem war er der Haus- und
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