Small World (German Edition)
Irma.
Sobald sie aus dem Haus waren, sagte Konrad, der sonst immer ein gemächliches Tempo an den Tag legte: »Komm!«, und ging voraus. Simone mußte sich anstrengen, ihm zu folgen. Als sie bei seinem Ziel, dem Gärtnerschuppen, anlangten, waren beide etwas außer Atem.
Er lehnte sich an die hölzerne Wand des Schuppens und wartete.
»Worauf warten wir, Konrad?« fragte Simone.
Er schaute sie an, als wenn er erst jetzt ihre Anwesenheit bemerken würde.
»Riechst du es nicht?« Und schaute wieder in den verhangenen Himmel, der weit draußen mit den Hügeln hinter dem See verschwamm.
Plötzlich schwebten große, dicke Schneeflocken herab, fielen auf den Rand des Regenfasses, den Deckel des Komposthaufens, das Plattenweglein, die Tannenzweige auf den Rosenbeeten und die schwarzen Äste der Zwetschgenbäume.
»Es schneit Fazonetli«, sagte Konrad.
»Fazonetli?« fragte Simone.
»Taschentüchlein. Von ›fazzoletti‹.«
Die Taschentüchlein fielen aus dem grauen Himmel und kühlten das Gras und die Zweige und die Steinplatten, bis die, die nachkamen, nicht mehr schmolzen. Bald war alles von einem hellgrauen Schleier überdeckt, der rasch weiß und immer dicker wurde.
»Es schneit Fazonetli«, rief Konrad und fing an, mit ausgebreiteten Armen im Gestöber zu tanzen, das Gesicht dem Himmel zugewandt, Mund und Augen aufgesperrt, so weit es ging.
»Es schneit Fazonetli«, sang er und schleuderte seine Pelzmütze in den Himmel.
»Es schneit Fazonetli«, sang Simone.
Beide tanzten im Geflimmer, bis sie nicht mehr konnten vor Lachen und Weinen und Glück.
Konrad und Simone kamen mit nassen Haaren und weißen Mänteln ins Gästehaus zurück. Schwester Irma verschwand mit Konrad. Simone ging ins Wohnzimmer, zündete die zwei Kerzen auf dem Adventskranz an, legte das Pianokonzert von Schumann auf, setzte sich aufs Sofa und wartete.
Als die Schwester mit Konrad zurückkam, hatte er trockene Sachen an, seine Haare waren gefönt, und seine Wangen glühten wie bei einem glücklichen Kind. Er setzte sich in seinen Sessel, aß ein wenig vom Weihnachtsgebäck auf dem Rauchtischchen, schloß die Augen und hörte der Musik zu.
Kurz darauf war er eingeschlafen.
Simone blies die Kerzen aus und ging leise aus dem Zimmer.
Draußen stand eine schlanke, große, rothaarige Frau Mitte Vierzig in weißer Schwesternschürze.
»Mein Name ist Sophie Berger, ich bin die Reserve. Schwester Ranjah hat frei, und Herr Schneider hatte einen Autounfall wegen dem Schnee.«
»Ist er verletzt?« fragte Simone.
»Nein. Aber er ist mit einem Tram zusammengestoßen. Das bedeutet viel Papierkrieg.«
»Nun, Sie werden nicht viel Arbeit haben. Ich glaube, Herr Lang wird sehr gut schlafen.«
Simone wählte den Code für die Haustür.
»Sie kennen Herrn Lang?«
»Ja, ich hatte schon einmal das Vergnügen.«
Simone legte ihren nassen Mantel über die Schultern und ging zufrieden zurück zur Villa. Die schwarzen Granitplatten des Weges kamen schon wieder zum Vorschein.
Konikoni öffnete die Augen und machte sie sofort wieder zu.
Nach einer Weile öffnete er sie wieder, aber diesmal ganz langsam, damit man es von außen nicht sah. Erst kam ein wenig Licht durch die Wimpern, dann konnte er die Konturen der Möbel erkennen, und dann sah er Mama Anna.
Sie trug eine weiße Arbeitsschürze wie eine Schwester und war dabei, den Tisch zu decken.
Er wartete, bis sie hinausging und er sie in der Küche sprechen hörte. Rasch stand er vom Sessel auf und versteckte sich hinter dem Sofa, das an der Wand stand.
Er hörte, wie Mama Anna wieder hereinkam, dann sah er ihre Schuhe und Beine.
Sie rief: »Herr Lang?« Dann ging sie wieder aus dem Zimmer.
Er hörte, wie sie die Tür zum Schlafzimmer öffnete. »Herr Lang?«
Dann die Tür zum Bad. »Herr Lang?«
Sie sprach mit jemandem in der Küche. Dann hörte er Schritte auf der Treppe.
Nach einiger Zeit kam sie wieder herunter. »Herr Lang?« Sie öffnete die Windfangtür und die Haustür. Eine Weile war es still. Dann hörte er vor dem Fenster Mama Annas Stimme halblaut »Herr Lang?« rufen.
Konikoni stand auf und ging leise in den Korridor. Aus der Küche kamen Geräusche. Die Windfangtür war offen. Er ging zur Haustür. Sie war nur angelehnt. Mit einem Lächeln schlüpfte er in die Nacht hinaus. Der Himmel war jetzt klar. Ein halber Mond hing über der fahlen Hügelkette.
Kochs hatten ein paar Gäste, wie immer an Adventssonntagen. Es war eine Tradition, die noch auf Edgar Senn zurückging. Er
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