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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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hatte, kontrollierte er ihren Blutzucker und stellte eine leichte Unterzuckerung fest, eine Komplikation, die meistens auf Diätfehler oder Fehler bei der Dosierung des Insulins zurückzuführen ist. Aber da er Elvira Senn als sehr disziplinierte und exakte Patientin kannte und er von seiner Visite bei Konrad Lang über dessen Auftritt in der Villa informiert war, tippte er auf eine andere Ursache.
    »Ist Ihnen der Auftritt unseres Patienten sehr nahe gegangen?«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Wenn Sie mich konsultiert hätten in der Frage Konrad Lang, hätte ich Ihnen entschieden abgeraten.«
    »Wie konnte ich wissen, daß die ihn nachts frei herumlaufen lassen?«
    »Es ist nicht nur dieser Zwischenfall. Er ist auch sonst eine Belastung. Als Ihr Arzt muß ich Ihnen Aufregungen verbieten.«
    »Soll ich ihn rauswerfen? Wie sieht denn das aus?«
    »Versuchen Sie wenigstens, ihn zu vergessen. Tun wir so, als ob er nicht existieren würde.«
    Elvira lächelte. »Wie geht es ihm?«
    Dr. Stäubli schüttelte den Kopf. »Er war aufgewühlt und stark unterkühlt. Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. Ich hoffe, er schläft jetzt, und wenn wir Glück haben, kommt er ohne Lungenentzündung davon.«
    Er hielt ihr ein Traubenzuckerbonbon hin. »Lutschen Sie das, und in einer Stunde noch eines. Morgen früh komme ich wieder, und dann schauen wir, ob wir an der Insulineinstellung etwas ändern müssen.«
    Elvira Senn schälte das Bonbon aus dem Zellophan. »Wie lange dauert es, bis man stirbt an Alzheimer?«
    »Zwischen einem und sechs Jahren, je nach Verlauf und Pflege. Konrad Lang kann siebzig werden, aber es könnte auch sein, daß er die nächsten Weihnachten nicht mehr erlebt. Oder daß er bis dahin das Endstadium erreicht hat.«
    Dr. Stäubli stand auf. »Falls er das hier überhaupt überlebt. Ich schaue jetzt noch einmal nach ihm. Danach können Sie mich die ganze Nacht zu Hause erreichen.«
    Elvira setzte sich in der Recamière auf.
    »Bleiben Sie, ich finde den Weg.« Dr. Stäubli gab ihr die Hand. »Bis morgen, gegen neun.«
    Elvira Senn stand dennoch auf und brachte ihn zur Tür. Dann ging sie zum Telefon und wählte Schöllers Nummer.
    Wenn Schöller seine Gefühle für Elvira Senn beschreiben müßte, würde das Wort »Liebe« nicht vorkommen. Aber mit Verehrung, Zuneigung und Gehorsam hatte es schon etwas zu tun. Und auch – warum sollte er es vor sich verheimlichen – mit Erotik. Er war ein alleinstehender Mann Ende Fünfzig, der sich immer zu älteren, dominierenden Frauen hingezogen gefühlt hatte. Eine Eigenschaft, die ihre vielschichtige Beziehung um eine – wenn auch nicht sehr wichtige – Facette bereicherte. Elvira mochte achtzig sein, aber sie war eine attraktive und aufregend mächtige Frau.
    Schöller war der seltene, aber – nach seinen normalerweise zuverlässigen Informationen – einzige Liebhaber von Elvira Senn, was ihn bis zu einem gewissen Grad auch zu ihrem Vertrauten machte. Soweit eine derart eigenständige und kalkulierende Frau zu etwas wie Vertrauen überhaupt imstande war. Er wußte, daß sie ihm nur so viel mitteilte, wie ihr dienlich schien, und ihn für ihre Zwecke benützte. Was den letzten Punkt anging, unterschied er sich von den meisten Leuten in ihrer Umgebung nur darin, daß er es erregend fand.
    Auch wenn Schöller in dieser seltsamen Beziehung nicht gerade der dominierende Teil war, auf seinen Beschützerinstinkt konnte Elvira sich verlassen. Was sie ihm an diesem späten Abend bleich und mit schwacher Stimme detailliert berichtete, brachte ihn gegen Konrad Lang auf und gegen alle, die ihn ihr zumuteten.
    Es war weit nach Mitternacht, das Thermometer war tief unter Null gefallen, als Schöller das »Stöckli« verließ. Voller Haß: Elvira hatte ihn sorgfältig geschürt.
    Die Keller großer Häuser sind wie alle Keller: Sie riechen nach Waschpulver, Moder und Heizöl und sind voller Dinge, die nie jemand je wieder brauchen wird. Ihre Lichtschalter leuchten, und wenn man sie betätigt hat, geht das Licht nach ein paar Minuten von selbst wieder aus.
    Der Heizungsraum der »Villa Rhododendron« war nicht schwer zu finden. Er lag gleich neben der Kellertreppe, und aus seiner Tür drang ein leises, gleichmäßiges Vibrieren. Sie war unverschlossen. Die Heizanlage war in den zwanzig Jahren seit ihrem Einbau immer wieder modernisiert und verändert worden. Sie bestand aus einem großen Kessel, einem Brenner, einem Reservebrenner, einer Umwälzpumpe, einer

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