Small World (German Edition)
paar hundert Franken, von denen er hie und da am Wochenanfang aus seinem Taschengeld ein paar kleinere Scheine zurückzahlte. Als Geste des guten Willens und aus taktischen Gründen, für das nächste Mal.
Mit hundert Franken kam man in der Bar des Grand Hotel des Alpes zwar nicht sehr weit, aber man wurde hier wie ein Mensch behandelt, und das brauchte Konrad Lang im Moment. Die Barfrau, die am Nachmittag Dienst hatte, hieß Charlotte und nannte ihn Koni, wie eine alte Freundin. Sie hätte auch das Alter, um ihn noch aus den Zeiten zu kennen, in denen er hier manchmal die Turmsuite bewohnte. Also, Tomi und er. Also, Tomi die Turmsuite und er das Zimmer direkt darunter. Aber damals, hatte sie ihm erzählt, hatte sie es noch nicht nötig gehabt zu arbeiten. Da war sie wie er: nicht reich, aber unabhängig.
»Pröschtli, Koni«, sagte sie, als sie ihm seinen Negroni brachte.
»Ein Negroni«, behauptete er immer, »ist das ideale Nachmittagsgetränk: sieht aus wie ein Apéro, wirkt aber wie ein Cocktail.«
Der, den Charlotte ihm jetzt brachte, war erst der zweite. Für drei würde es reichen, wenn man Charlottes Champagner-Flûtes mit einrechnete, die sie sich jedesmal auf sein Zeichen hin einschenkte und hinter der Bar neben den Aschenbecher stellte, in dem ihre »Stella Filter« verrauchte.
»Yamas«, sagte Konrad und hob das Glas an die Lippen. Sein rechtes Ohr hallte noch von Urs’ Schlag auf das Eisentor, und seine Hand zitterte mehr als sonst um diese Tageszeit.
Die Bar war fast leer, wie meistens am späteren Nachmittag. Charlotte verteilte versilberte Schälchen mit Salznüssen auf den Tischchen. Trübes Licht drang durch die Gardinen. Hinter der Bar neben der Kasse brannte schon eine Lampe, aus deren Lichtkegel der blaue Rauch von Charlottes vergessener Zigarette stieg. Roger Whittaker sang Smile, though your heart is aching , und vom Tischchen neben dem Piano klang ab und zu das Klappern der Teetassen der beiden Hurni-Schwestern, die dort, wie immer zu dieser Stunde, schweigend auf den Pianisten warteten.
Die Hurni-Schwestern waren weit über achtzig und vor einigen Jahren ins Grand Hotel des Alpes gezogen. So, wie andere Leute, die nicht zwölf Prozent einer Bierbrauerei geerbt haben, ins Altersheim ziehen. Beide waren hager und zerbrechlich, bis auf die unförmigen Beine in hautfarbenen Stützstrümpfen, die wie Bratwürste unter ihren großgeblümten Kleidern hervorschauten. Jedesmal, wenn sie feierlich die Bar betraten, fühlte sich Konrad Lang an etwas erinnert, das weit zurücklag. So weit, daß es kein Bild hervorrief, nur ein vertrautes, lange vergessenes Gefühl, das er nicht beschreiben konnte; aber es entlockte ihm immer ein freundliches Lächeln, welches von den Hurni-Schwestern jedesmal empört ignoriert wurde.
Konrad Lang nahm einen kleinen Schluck und stellte das Glas wieder auf das Tischchen. Der Negroni mußte reichen, bis der Pianist kam. Dann würde er noch einen bestellen. Und eine Flûte für Charlotte »mit einem Bier für den Mann am Klavier«. Dann müßte er sich entscheiden, ob er die übrigen zwanzig Franken in ein Taxi investieren oder das Tram nehmen und den Rest in ein paar ordinären Schnäpsen bei Barbara im Rosenhof anlegen sollte.
Es geschah nicht oft, daß eine von Urs Kochs Freundinnen Elvira Senn vorgestellt wurde. Sie waren alle vom gleichen Typ, und er wechselte sie so oft, daß Elvira sie nicht auseinanderhalten konnte. Aber in letzter Zeit hatte sie sich mehrmals nach »dieser Simone« erkundigt. Ein Zeichen dafür, daß es ihren Plänen dienen würde, wenn Urs eine festere Bindung einginge.
Als Rahmen für die Vorstellung hatte Elvira sich für den Nachmittagstee im kleinen Salon der Villa entschieden. Intim genug für einen ersten Eindruck, aber nicht so familiär wie ein Mittagessen und nicht so verbindlich wie ein Diner.
Urs und Simone, jetzt nicht mehr im Reitkostüm, saßen Hand in Hand auf einem ledernen Breuersofa. Thomas Koch schenkte Champagner in vier Gläser ein.
»Wenn es heißt ›zum Tee‹, ist damit der Rahmen gemeint, nicht das Getränk«, sagte er und lachte. Er stellte die Flasche in den Eiskübel zurück, reichte jedem ein volles Glas, nahm sich selbst eines und erhob es. »Worauf trinken wir?«
»Auf unser Wohl«, sagte Elvira, um Thomas zuvorzukommen, der wieder einmal drauf und dran war, etwas Voreiliges zu sagen. Offensichtlich war das heute nicht sein erstes Glas Alkohol, und seine Gefühle gegenüber der möglichen
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