Smaragdjungfer
letzten Jahres. Demnach kannte er die Tote seit mindestens einem Jahr.
Ansonsten gab es nichts Auffälliges. Keine Einträge wegen illegaler Geschäfte, aber das wollte nichts heißen. So wie Kastor aufgetreten war und mit Doktor Moritz Jasper als Anwalt an seiner Seite, war es durchaus möglich – Paula hielt das für recht wahrscheinlich –, dass er nur noch nicht erwischt worden war. Seinen Hintergrund genauestens unter die Lupe zu nehmen, war einer der nächsten Schritte, falls Jakob Roemer sie nicht anderweitig beschäftigte.
»Nichts Besonderes über Frau Stojanovic.« Rambacher druckte das Ergebnis seiner Recherche aus. »Sie stammte aus Serbien. Interessant ist ihre ethnische Zugehörigkeit: Sinti und Roma.«
»Erstens: Was soll daran interessant sein? Zweitens: Welches von beiden?«
»Wie bitte?«
Paula verdrehte die Augen. »Ist sie Sintiza oder Romni? Beides zusammen kann sie nämlich nicht sein.«
»Davon steht hier nichts.«
»Wenn sie aus Serbien stammte, gehörte sie höchstwahrscheinlich zu den Roma. Die bilden dort die größte ethnische Minderheit. Und was finden Sie daran interessant?«
»Sie hat Musik studiert an der Musikhochschule in Belgrad. Violine.«
»Sehr interessante Information, in der Tat. Sagen Sie, Rambacher, Sie gehören nicht zufällig zu den Leuten, die mit Vorurteilen gegen Roma behaftet sind?«
»Was soll das denn?«
»Ich frage mich, ob Sie Frau Stojanovics Musikstudium auch so bemerkenswert fänden, wenn sie eine Gadschi gewesen wäre.«
»Eine was?«
» Gadschi . Das ist das Romanes-Wort für eine Frau, die keine Romni ist. Politisch unkorrekt ausgedrückt: eine Nichtzigeunerin.«
»Ich finde es deshalb interessant, weil Frauen, die klassische Musik studieren, eher nicht zu denen gehören, die als Hostessen arbeiten.«
Paula schüttelte den Kopf. »Mal ganz abgesehen davon, dass viele Studentinnen nebenbei arbeiten müssen, um sich ihr Studium zu finanzieren, und nicht wenige tatsächlich als Hostess oder Callgirl, verdient man als Musikerin nicht annähernd so viel wie in dieser Branche. Ich vermute, Frau Stojanovic hat entweder ihr Studium nicht abgeschlossen oder war längere Zeit arbeitslos. Das werden wir noch genauer überprüfen. Wer sind ihre nächsten Verwandten?«
»Sie hat keine. Die Eltern sind tot, und sie war ein Einzelkind.« Er tippte etwas in den Computer und ergänzte: »Sonstige Verwandte gibt es auch nicht.«
Paula blickte auf. »Das ist ungewöhnlich.«
»Und was soll jetzt daran wohl bemerkenswert sein?«
»Weil Einzelkinder unter Roma extrem selten sind. Die Leute lieben Kinder. Und dass sie keine Verwandten hat, ist deshalb auch nahezu ausgeschlossen. Es sei denn, die gesamte Verwandtschaft wäre geschlossen eines unnatürlichen Todes gestorben. Prüfen Sie das.«
» Bitte .« Rambachers Tonfall drückte mehr als deutlich aus, dass er nicht »bitte sehr« gemeint hatte, sondern Paula am liebsten gefragt hätte »Wie heißt das Zauberwort?«, als wäre sie ein Kind. Immerhin führte er kommentarlos die Überprüfung durch.
»Nein, wie es aussieht, waren auch die Eltern Einzelkinder.«
Paula runzelte die Stirn. »Wirklich ein merkwürdiger Zufall.«
»Ich glaube nicht, dass es für die Aufklärung des Falls wichtig ist, ob die Tote und ihre Eltern Einzelkinder waren.«
»Möglicherweise nicht. Vielleicht aber doch.« Sie sah Rambacher in die Augen. »Hat man Ihnen noch nicht meinen Spitznamen verraten?«
»Gibt es noch einen anderen außer ›Kratzbürste‹?«
» Terrier . Wenn ich eine Spur aufgenommen habe, bleibe ich so lange dran, bis ich am Ziel bin. Und ich lasse nicht locker, bis ich alle Ungereimtheiten aufgeklärt habe. Egal wie unbedeutend sie zu sein scheinen. Habe ich von Inspektor Columbo gelernt. Also gewöhnen Sie sich dran, dass wir jedes Detail überprüfen; auch solche, die andere Leute – oder Sie – für irrelevant halten. Davon abgesehen haben die Roma auch so etwas wie Wahlverwandtschaft, die für sie denselben Stellenwert hat wie Blutsverwandtschaft. Wenn Frau Stojanovic keine Blutsverwandten mehr hatte, dann hat sie garantiert irgendwo Wahlverwandtschaft, die wir von ihrem Tod benachrichtigen müssen und die auch das Begräbnis ausrichtet.« Sie sah zur Uhr. »Aber um die kümmern wir uns heute Nachmittag. Jetzt suchen wir erst mal Severin heim.«
Sie zog ihre Jacke an und verließ das Büro. Wieder kümmerte sie sich nicht darum, ob Rambacher ihr folgte oder nicht. Er hatte sie eingeholt, noch ehe
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