Snobs: Roman (German Edition)
»Ich fahre nach Norwich«, erklärte sie. »In zwei Stunden bin ich wieder da.« Es erleichterte die beiden, dass Caroline nicht einmal einen Versuch unternahm, der Situation den Anschein von Unverfänglichkeit zu geben oder irgendwelchen Unsinn zu faseln, sie wären zufällig gerade vorbeigefahren.
Charles nickte. »Aha«, sagte er.
Als sie allein waren, fühlte sich Edith merkwürdigerweise wie blockiert und wusste nicht, wie sie beginnen sollte. Sie saß wie ein
Dienstmädchen beim Vorstellungsgespräch in der Nähe des Heizstrahlers auf einer Stuhlkante und beugte sich vor, um sich die Hände zu wärmen. »Ich hoffe, du bist nicht böse. Ich wollte so dringend mit dir reden. Richtig reden. Und ich hatte langsam das Gefühl, dass man mich nie zu dir lassen würde. Deshalb dachte ich, ich versuch’s einfach mal.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin überhaupt nicht böse. Kein bisschen.« Er zögerte. »Das – das mit den Anrufen und alles tut mir Leid. Es lag nicht daran, dass meine Mutter es mir nicht gesagt hat. Oder nicht allein daran. Das hast du wohl geglaubt. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Ich dachte, es wäre das Beste, alles den Profis zu überlassen. Aber jetzt natürlich, wo du da bist …« Er verstummte niedergeschlagen.
Edith nickte. »Ich wollte unbedingt wissen, wie du in der Sache denkst. Wie ich es verstanden habe, wollen deine Eltern, dass du sofort frei bist.«
»Ach das.« Er sah verlegen drein. »Das ist mir egal. Wirklich. Was immer dir lieber ist.« Im unschmeichelhaften Licht der Glühbirne, die direkt über ihm hing, sah er sie an. »Wie geht es Simon?«
»Gut. Sehr gut. Ihm gefällt seine Serie.«
»Gut. Ich freue mich.« Er klang zwar nicht so, aber er bemühte sich, höflich zu sein. Wieder fielen Edith der Anstand und die Liebenswürdigkeit dieses Mannes auf, den sie verschmäht hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Manchmal fiel es ihr schwer, ihr eigenes Verhalten zu begreifen. Es kam ihr vor wie ein Film in einer fremden Sprache, und doch hatte sie diese Entscheidung getroffen. Das Gespräch schleppte sich weiter.
»Ich glaube nicht, dass ich schon mal um diese Jahreszeit in Feltham war. Vielleicht doch, aber ich erinnere mich nicht. Sehr idyllisch, nicht?«
Charles lächelte. »Das gute alte Feltham«, sagte er.
»Du solltest hier wohnen. Das Haus renovieren. Ein paar von den Sachen zurückholen.«
Er nickte vage. »Ich glaube, ich würde mich ein bisschen einsam
fühlen, wenn ich hier ganz allein festsitze. Meinst du nicht? Aber es ist eine schöne Vorstellung.«
»Ach, Charles.« Ungeachtet des Zynismus, mit dem sich Edith zu dieser Mission aufgemacht hatte, war sie ihren eigenen Fantasien, die sie zu ihrer Rechtfertigung zusammengesponnen hatte, erlegen. Wie Deborah Kerr in Der König und ich ein fröhliches Lied pfeift, um sich Mut zu machen, hatte sich Edith erfolgreich eingeredet, sie wäre eine romantische Figur, die ihre Liebe verloren hat, und keineswegs eine selbstsüchtige Frau, die ihren Komfort bitter vermisst. Die Augen wurden ihr feucht.
Es mag seltsam erscheinen, aber Charles begriff erst in diesem Moment so richtig, dass Edith mit dem Ziel hergekommen war, ihn zurückzugewinnen. Bis jetzt hatte er immer noch überlegt, ob sie die Fahrt nicht wegen finanzieller oder terminlicher Fragen unternommen hatte. Obwohl ihm der Verdacht schon einmal gekommen war, erkannte er, weil er so wenig eitel war, das Offensichtliche erst sehr spät. Er dachte lange, sie wolle ihn dazu bringen, in etwas einzuwilligen, bevor seine Rechtsanwälte es ihm ausreden konnten. Das verübelte er ihr nicht, doch wenn es so war, wollte er auf jeden Fall sein Elend vor ihr verbergen – aus Rücksicht vor ihren Gefühlen wie aus einem (nur zu berechtigten) Stolz heraus. Jetzt dämmerte ihm endlich, dass es darum gar nicht ging, und ihm wurde ganz flau in der Magengrube. Sie wollte zu ihm zurückkehren. Er sah sie an.
Bei aller Schlichtheit des Gemüts war er doch kein Idiot. Er folgte dem gleichen Gedankengang wie an jenem Abend in seinem Arbeitszimmer in Broughton: Er wusste genau, dass er jetzt keinen Deut interessanter war als damals, als sie ihn verlassen hatte. Er vermutete auch, dass die Welt des Showbusiness sich für sie als recht reizlos herausgestellt hatte, jedenfalls im Alltag. Wie ein Jahr der Sünde Edith eine klarere Vorstellung von Simons Charakter verschafft hatte, so hatte Charles in zwei Ehejahren und einem Trennungsjahr Edith von
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