Snuff: Roman (German Edition)
bezahlt.«
Diese Frau ist Cassie Wrights persönliche Assistentin, ihre Managerin, ihr Mädchen für alles. Sie sieht auf ihre Armbanduhr, kritzelt auf das oberste Blatt ein paar Zahlen, eine Gleichung, und sagt: »Sie hat mich gebeten, das Risiko abzuschätzen.«
Ich frage, ob das stimmt? Hat Miss Wright ein erwachsenes Kind?
»Das stimmt«, sagt sie und sieht zu mir hoch. Auf den Schultern ihres schwarzen Rollkragenpullovers kleben weiße Flocken. Schuppen. Ihre glatten schwarzen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, kein einziges Härchen hängt frei herunter. Die Haare kräuseln sich buschig an den Enden, und Spliss hat sie auch.
Ich rucke den Kopf kaum merklich in Richtung von Nummer 72 und frage: »Ist er das?«
Und die Assistentin sieht hin. Blinzelt. Zwinkert. Hebt die Schultern und sagt: »Eine gewisse Ähnlichkeit ist da...«
Woche für Woche bekommt Cassie Wright Briefe von Tausenden jungen Männern, von denen jeder Einzelne sich für das Baby hält, das sie zur Adoption freigegeben hat. Zur Arbeit der Assistentin gehört es, alle diese Briefe zu öffnen, zu sortieren und gelegentlich auch zu beantworten. Gut neunzig Prozent davon stammen von diesen Möchtegernsöhnen. Alle betteln um eine persönliche Begegnung. Jeder möchte nur eine Stunde mit ihr unter vier Augen verbringen, um ihr zu sagen, wie sehr er sie liebt. Dass sie schon immer seine einzig wahre Mutter gewesen ist. Die wahre Liebe, neben der es keine andere geben kann.
»Aber Ms. Wright ist ja nicht blöd«, sagt die Assistentin.
Cassie Wright weiß, sobald eine Frau sich einem Mann hingibt, beginnt er sie für etwas Selbstverständliches zu halten. Bei der ersten Begegnung wird ihr Sohn sie vielleicht noch lieben. Aber beim zweiten Mal wird er Geld von ihr haben wollen. Beim dritten Mal verlangt er einen Job, ein Auto, Drogen. Er gibt ihr die Schuld an allem, was er in seinem Leben falsch gemacht hat. Er macht sie fertig, reibt ihr jeden Fehler unter die Nase, den sie jemals begangen hat. Er beschimpft sie als Hure, wenn sie ihm nicht alles gibt, was er haben will.
»Nein«, sagt die Assistentin, »Ms. Wright weiß, dass es dabei nicht um Liebe geht...«
Die jungen Männer, die ihr schreiben und um ein Treffen bitten. Einen Monat später schreiben sie noch einmal. Erst betteln sie. Dann drohen sie. Behaupten, sie wollen lediglich ihre genetische Vorgeschichte erforschen, wollen wissen, ob sie die Veranlagung zu irgendwelchen Erbkrankheiten haben. Diabetes. Alzheimer. Manche behaupten, sie wollen ihr nur persönlich dafür danken, dass sie ihr Leben bereichert hat, oder sie wollen ihr zeigen, wie weit sie es gebracht haben, damit sie sieht, dass sie das Richtige getan hat.
»Ms. Wright hat niemals auf einen einzigen dieser Briefe geantwortet«, sagt die Assistentin.
Und deshalb besteht Cassie Wrights größtes Publikum, der einzige Teil ihres Publikums, der immer noch größer wird, aus Sechzehn- bis Zwanzigjährigen. Diese Männer kaufen ihre alten Videos, ihre Plastikbrüste und Taschenvaginas, haben dabei aber nichts Erotisches im Sinn. Für sie sind diese Aufblaspuppen und die Designerunterwäsche eine Art Reliquien. Souvenirs der echten Mutter, der perfekten Mutter, die sie nie gehabt haben. Teile aus Frankensteins Baukasten. Religiöse Totems der Mutter, die sie bis an ihr Lebensende zu finden versuchen werden – der Mutter, von der sie einmal genug Lob, genug Unterstützung, genug Liebe zu bekommen hoffen.
Die Assistentin sagt: »Ms. Wright weiß, selbst wenn sie ihr Kind finden würde, könnte sie seinen Anforderungen niemals gerecht werden.«
Sie sieht Mr. Toto an, die Schrift auf seiner weißen Stoffhaut, und sagt: »Wie hast du Celine Dion kennengelernt?«
Auf den Monitoren laufen Ausschnitte aus The Italian Hand Job , wo eine Gruppe internationaler Juwelendiebe eine Milliarde in Diamanten aus einem römischen Museum stehlen will. Bei dem Überfall lenkt Cassie Wright die Wächter ab, indem sie sie zu einem Dreier mit Doppelpenetration verführt. Als die Alarmanlage losgeht, die Sirenen und Warnlichter, klemmt sie ihre Becken- und Kiefermuskeln zusammen, so dass die beiden Wächter hilflos in dieser Falle aus Fleisch und Blut gefangen sind.
Die Assistentin klopft mit ihrem Kugelschreiber in die Luft, sie zählt die Männer im Raum und sagt: »Deshalb dreht Ms. Wright diesen Film.«
Schuld.
Schuld und Sühne.
Vor allem weiß Cassie Wright, dass dieser Film, falls sie stirbt, der letzte seiner Art
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