So coache ich
zum Radfahren. Ihm fehle der Ausgleich, er sei auch nicht mehr so fit wie früher.
Ich frage ihn: »Warum können Sie nicht ein paar Stunden freimachen, um Rad zu fahren?«
»Für eine Tour bräuchte ich wenigstens einen ganzen Tag.«
»Warum nehmen Sie sich nicht mal einen Tag dafür frei?«
»Das kann ich meiner Frau nicht antun.«
»Und wenn Sie wenigstens ein paar Stunden fahren?«
»Nein, das ist nicht das Gleiche.«
»Was wollen Sie dann?«
»Eigentlich will ich mein früheres Leben wiederhaben. Ich habe nicht gedacht, dass ein Kind das Leben so verändert.«
»Dann haben Sie zwei Möglichkeiten – Sie geben das Kind zur Adoption frei oder Sie verlassen Frau und Kind.« Ich liebe es, zu provozieren.
Thomas O. hält mich für völlig bekloppt und schüttelt nur den Kopf.
»Tja, was wäre denn dann die dritte Lösung?«
»Nicht Rad fahren.«
»Und die vierte?«
»Wie die Spießer am Wochenende eine Familien-Radtour unternehmen.«
»Sie sind berufstätig, wollen Frau und Kind nicht verlassen, wollen aber auch wieder fitter werden und fahren gerne Fahrrad. Fällt Ihnen irgendeine andere Lösung dazu ein?«
»Nein. Gar keine.«
»Dann gibt es vielleicht im Augenblick keine Lösung?«
Thomas O. nickt.
»Nehmen Sie Ihrem Kind übel, dass es Ihr Leben so auf den Kopf gestellt hat?«
Jetzt lächelt er erstmals: »Nein, natürlich nicht.«
»Nehmen Sie es sonst jemandem übel?«
Er lächelt weiter: »Nein, wir freuen uns beide über unser Kind.«
»Dann ist Fahrrad fahren oder nicht fahren allein Ihr Thema?«
Er überlegt, nickt. »Ja.«
»Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie bald eine Lösung für sich finden«, sage ich ihm, denn auch Männer können zickig sein.
Apropos zickig: Ich erinnere mich an eine Gesprächstherapie, die ich mit Mitte 20 in einer unglücklichen Lebenssituation in Anspruch genommen habe. Ich hatte ständig das Gefühl, dass die Therapeutin mich dazu drängen wollte, meinen Freund zu verlassen, und ich wurde immer zickiger. Ich brach dann die Therapie ab und erfuhr einige Monate später, dass die Therapeutin ihren Mann verlassen hat. Ich hatte die ganze Zeit das unterschwellige Gefühl, ich sollte etwas machen, weil sie es wollte.
Wir reden sehr oft über Veränderung im Coaching, über Lösungen und Strategien. Wir aktivieren Kreativität und Willenskraft, Intelligenz und Stärken – aber manchmal ist es eine noch größere Leistung, etwas anzunehmen, also zu akzeptieren, dass etwas ist, wie es ist. Das fällt schwer, wenn wir trotzig sind, das fällt schwer, wenn wir »eigentlich« etwas anderes wollen. Das fällt schwer, wenn ein Schicksalsschlag, es kann auch ein positiver wie die Geburt eines Kindes sein, unser Leben durcheinanderbringt.
»Akzeptiere, dass es derzeit keine Lösung gibt« hat nichts
mit Resignation oder aufgeben zu tun. Nein, es kann eine wichtige Erlaubnis sein, zu entspannen, loszulassen, sich selbst nicht länger unter Druck zu setzen. Das gilt für die Beziehung wie für die Arbeit, für Alltagsprobleme wie Lebensentscheidungen. Ich ermutige manchmal Coaching-Klienten oder Seminarteilnehmer, mit sich selbst einen Vertrag zu schließen: »Ich werde mir sechs Monate Zeit geben, nichts in dieser Sache zu tun. Und dann werde ich neu entscheiden, was ich tun will.«
Besonderheit beim Coachen
Dieser Coaching-Impuls fordert vor allem eine Fähigkeit bei demjenigen, der einen Menschen als Coach begleitet – nämlich nicht um jeden Preis eine Lösung herbeiführen zu wollen. Nein, es ist kein Versagen, wenn Sie es nicht »hinkriegen«. Wenn ein Mensch innerlich nicht bereit ist, ins Handeln zu kommen, dürfen Sie ihn nicht »zum Jagen tragen«. Ehrlich: Er wird es sowieso nicht tun, aber Sie würden den Druck auf ihn sogar noch erhöhen.
Besonderheit beim Selbstcoachen
Wenn Sie diese Methode anwenden, um sich Klarheit über etwas zu verschaffen, checken Sie ruhig zwischendurch immer wieder ab: Traue ich mich nur nicht, etwas zu verändern, oder akzeptiere ich die Situation tatsächlich, wie sie ist, und kann sie annehmen und loslassen?
25. Die Mini-Mäuseschritt-Technik
Anwendung: Veränderungswünsche
Situation: Zum Selbstcoachen und beim Coachen von anderen
Voraussetzung: Mut zu kleinen Schritten
Methode: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Dauer: 5 bis 15 Minuten
Ein Mini-Mäuseschritt-Beispiel:
Sie müssen Ihr berufliches Netzwerk in dem Unternehmen, in dem Sie arbeiten, dringend ausbauen!
Sie haben weder Zeit
Weitere Kostenlose Bücher