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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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deutete an, dass Lackes Recht, die Kompetenz des Krankenhauses in Frage zu stellen, minimal war. Sie zuckte leicht mit den Schultern, sagte: »Wenn man Blutgruppe B hat, was bei dieser Patientin jedoch nicht der Fall ist. Sie hat AB.«
    »Aber … es steht doch A auf … dem Beutel.«
    Die Krankenschwester seufzte und sagte, als würde sie einem Kind erklären, dass es auf dem Mond keine Menschen gab:
    »Personen mit der Blutgruppe AB können Blut von sämtlichen Blutgruppen aufnehmen.«
    »Aber … aha. Dann hat sie also die Blutgruppe gewechselt.«
    Die Krankenschwester hob die Augenbrauen. Das Kind hatte soeben behauptet, es sei auf dem Mond gewesen und habe dort oben Menschen gesehen. Sie machte eine Handbewegung, als schnitte sie ein Band durch und sagte: »So etwas gibt es nicht.«
    »Nicht. Dann hat sie sich wohl geirrt.«
    »Ja, das hat sie wohl. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe auch noch etwas anderes zu tun.«
    Die Krankenschwester kontrollierte den Katheter in Virginias Arm, drehte den Ständer ein wenig und verließ mit einem Blick auf Lacke, der besagte, dies waren wichtige Dinge und gnade ihm Gott, wenn er an ihnen herumfummelte, mit energischen Schritten das Zimmer.
    Was passiert, wenn man das falsche Blut bekommt? Das Blut … klumpt.
    Nein. Virginia musste das falsch in Erinnerung gehabt haben.
    Er ging in die Zimmerecke, in der ein kleiner, gepolsterter Stuhl und ein Tisch mit einer Plastikblume standen, setzte sich auf den Stuhl und ließ den Blick über das Zimmer schweifen. Kahle Wände, glänzender Fußboden. Neonröhren an der Decke. Virginias Bett aus Stahlrohren, darauf eine blassgelbe Decke, auf der »Landschaftsverband« stand.
    So wird es also irgendwann einmal sein.
    Bei Dostojewski waren Krankheit und Tod fast immer schmutzig, erbärmlich. Erdrückt unter Wagenrädern, Lehm, Typhus, blutbefleckte Taschentücher. Und so weiter. Aber weiß der Teufel, ob das im Grunde nicht besser war als das hier: in einer Art polierter Maschine entsorgt zu werden.
    Lacke lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schloss die Augen. Die Rückenlehne war zu kurz, sein Kopf fiel nach hinten. Er richtete sich auf, stützte den Ellbogen auf die Armlehne und legte das Gesicht in die Hand. Betrachtete die Plastikblume. Es kam ihm vor, als stünde sie dort nur, um zusätzlich zu unterstreichen, dass es hier kein Leben geben durfte; hier herrschte Zucht und Ordnung.
    Die Blume verharrte auf seiner Netzhaut, als er seine Augen wieder schloss, und verwandelte sich in eine richtige Blume, wuchs, wurde zu einem Garten. Dem Garten des Hauses, das sie kaufen würden. Lacke stand in dem Garten, betrachtete einen Rosenstock mit glänzenden roten Blüten. Aus dem Haus fiel ein langer Menschenschatten. Die Sonne sank schnell, und der Schatten wuchs, wurde immer länger, erstreckte sich über den Garten …
     
    Er zuckte zusammen und war wach. Seine Hand war nass von Speichel, der ihm im Schlaf aus dem Mundwinkel geflossen war. Er strich sich über den Mund, schmatzte und versuchte den Kopf zu heben. Es ging nicht. Sein Nacken hatte sich verkrampft. Lacke zwang ihn mit einem Knirschen wieder in eine gerade Position, hielt inne.
    Weit geöffnete Augen sahen ihn an.
    »Hallo, bist du …«
    Sein Mund schloss sich wieder. Festgehalten von den Riemen lag Virginia auf dem Rücken und hatte ihm das Gesicht zugewandt. Aber dieses Gesicht war viel zu still. Es zeigte keinerlei Regung wie Wiedererkennen, Freude … nichts. Die Augen blinzelten nicht.
    Tot! Sie ist …
    Lacke schoss aus dem Stuhl, und es knackte in seinem Nacken. Er warf sich vor dem Bett auf die Knie, griff nach den Stahlrohren und näherte sein Gesicht ihrem, als wollte er durch seine bloße Gegenwart die Seele in ihr Gesicht zurückzwingen, aus der Tiefe heraufholen.
    »Ginja! Hörst du mich?«
    Nichts. Dennoch hätte er schwören können, dass ihre Augen auf irgendeine Art in seine blickten, dass sie nicht tot waren. Durch sie hindurch suchte er nach Virginias; warf Enterhaken in die Löcher aus, die ihre Pupillen waren, um dahinter in der Dunkelheit Halt zu finden an …
    Die Pupillen. Sehen sie so aus, wenn man …
    Ihre Pupillen waren nicht rund. Sie waren senkrecht gestreckt, zu Spitzen langgezogen. Er grimassierte, als ein eisig ausstrahlender Schmerz seinen Nacken durchzuckte, griff mit der Hand hin und rieb ihn sich.
    Virginia schloss die Augen, öffnete sie wieder. Und war da.
    Lacke riss dümmlich den Mund auf, rieb sich weiter

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