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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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mechanisch den Nacken. Ein hölzernes Klacken, als Virginia den Mund öffnete, fragte: »Hast du Schmerzen?«
    Lacke nahm die Hand aus seinem Nacken, als wäre er dabei ertappt worden, etwas Verbotenes zu tun.
    »Nein, ich wollte nur … ich dachte, du wärst …«
    »Ich sitze fest.«
    »Ja, du … hast vorhin ein bisschen randaliert. Warte, ich werde …« Lacke streckte die Hand zwischen zwei Bettlatten und fing an, einen der Riemen zu lösen.
    »Nein.«
    »Was ist?«
    »Lass das.«
    Lacke zögerte, den Riemen zwischen den Fingern.
    »Willst du dich wieder schlagen, oder was?«
    Virginia schloss die Augen halb.
    »Lass das bleiben.«
    Lacke ließ den Riemen los und wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte, nachdem sie ihrer Aufgabe beraubt waren. Ohne sich aufzurichten, drehte er sich auf den Knien und zog den kleinen Stuhl zum Bett, woraufhin ein weiterer Schmerzensstich seinen Nacken durchfuhr, schob sich schwerfällig auf ihn.
    Virginia nickte fast unmerklich. »Hast du Lena angerufen?«
    »Nein. Ich kann …«
    »Gut.«
    »Möchtest du nicht, dass ich …?«
    »Nein.«
    Schweigen stellte sich zwischen sie. Jenes Schweigen, das so typisch für Krankenhäuser ist und daraus entsteht, dass die Situation – einer im Bett, krank oder verletzt, und einer gesund daneben – im Grunde schon alles sagt. Worte werden nichtig, überflüssig. Nur das Wichtigste kann noch gesagt werden. Lange sahen sie sich an und sagten, was sich ohne Worte sagen ließ. Dann drehte Virginia den Kopf gerade und blickte zur Decke.
    »Du musst mir helfen.«
    »Was immer du willst.«
    Virginia leckte sich die Lippen, atmete ein und entließ die Luft in einem so tiefen und langen Seufzer, dass er aus verborgenen Luftreserven in ihrem Körper gesaugt zu werden schien. Dann glitt ihr Blick forschend über Lackes Körper, als nähme sie ein letztes Mal Abschied von der Leiche eines Geliebten und wollte sich sein Bild einprägen. Schließlich brachte sie die Worte über die Lippen.
    »Ich bin ein Vampir.«
    Lackes Mundwinkel wollten sich zu einem abfälligen Grinsen verziehen, der Mund einen abwiegelnden Kommentar formulieren, der gerne auch ein bisschen komisch sein durfte. Aber seine Mundwinkel rührten sich nicht, und der Kommentar verirrte sich, kam nie auch nur in die Nähe seiner Lippen. Stattdessen brachte er nur ein »Nein« heraus.
    Er rieb sich den Nacken, um der herrschenden Stimmung ein Ende zu setzen, der Regungslosigkeit, die alle Worte zu Wahrheiten werden ließ. Virginia sprach leise, beherrscht.
    »Ich bin zu Gösta gegangen, um ihn zu töten. Wenn nicht passiert wäre. Was passiert ist. Hätte ich ihn umgebracht. Und dann … sein Blut getrunken. Ich hätte es getan. Das war meine Absicht. Bei dem Ganzen. Begreifst du jetzt?«
    Lackes Blick irrte über die Wände des Zimmers, als suchten sie nach der Mücke, dem Ursprung dieses qualvollen, pfeifenden Lauts, der in der Stille sein Gehirn kitzelte, jegliches Denken verhinderte. Schließlich fiel er auf die Neonlampen an der Decke.
    »Diese Neonröhren surren ja vielleicht.«
    Virginia betrachtete die Neonröhren, sagte: »Ich vertrage kein Licht. Ich kann nichts essen. Ich habe schreckliche Gedanken. Ich werde Menschen wehtun. Dir wehtun. Ich will nicht mehr leben.«
    Endlich etwas Konkretes, worauf man antworten konnte.
    »So etwas darfst du nicht sagen«, widersprach Lacke. »Hörst du? Du darfst so etwas nicht sagen. Hörst du mich?«
    »Du verstehst das nicht.«
    »Nein, das tue ich wahrscheinlich nicht. Aber du sollst verdammt nochmal nicht sterben. Hast du kapiert? Du liegst doch jetzt hier, du redest, du bist doch … es ist doch okay.«
    Lacke stand von seinem Stuhl auf, ging ziellos ein paar Schritte durchs Zimmer, machte eine ausholende Geste.
    »Du darfst doch … du darfst so etwas nicht sagen.«
    »Lacke. Lacke?«
    »Ja!«
    »Du weißt, dass es wahr ist. Stimmt’s?«
    »Was denn?«
    »Was ich sage.«
    Lacke schnaubte und schüttelte den Kopf, während seine Hände den Körper, alle Taschen abtasteten. »Ich muss eine rauchen. Das …«
    Er fand die zerknitterte Zigarettenschachtel, das Feuerzeug. Es gelang ihm, die letzte Zigarette herauszuzupfen, er steckte sie in den Mund. Dann fiel ihm wieder ein, wo er war, und er nahm die Zigarette aus dem Mund.
    »Mist, die werden mich achtkantig rausschmeißen, wenn ich …«
    »Mach doch das Fenster auf.«
    »Du meinst, ich soll gleich freiwillig springen?«
    Virginia lächelte. Lacke ging zum Fenster, öffnete

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