Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
einfach nur in die Decke kuscheln, den Eingang versiegeln und erst wieder herauskommen, wenn … wenn … aber schläfrig, nein. Und … konnte er jetzt überhaupt schlafen, nachdem er sich angesteckt hatte?
    Er hörte, dass Mama eine Frage zu Papa stellte, und sagte »gut«, ohne zu wissen, worauf er eigentlich antwortete. Es wurde still. Dann seufzte Mama schwer.
    »Mein kleiner Liebling, wie geht es dir eigentlich? Kann ich etwas für dich tun?«
    »Nein.«
    »Aber was ist denn?«
    Oskar bohrte das Gesicht ins Kissen, atmete aus, sodass Nase, Mund, Lippen feuchtwarm wurden. Er schaffte das nicht. Es war zu schwer. Er musste es wenigstens einem Menschen sagen. Ins Kissen hinein sagte er: »…ngeste…«
    »Was hast du gesagt?«
    Er hob den Kopf aus dem Kissen.
    »Ich habe mich angesteckt.«
    Mamas Hand strich über seinen Hinterkopf, über seinen Nacken, abwärts, und die Decke glitt ein wenig von ihm herunter.
    »Wie meinst du das, angeste… aber … du bist ja noch angezogen!«
    »Ja, ich …«
    »Lass mal fühlen. Bist du heiß?« Sie legte ihre kalte Wange auf seine Stirn. »Du hast ja Fieber. Komm. Du musst dich ausziehen und ordentlich hinlegen.« Sie stand vom Bett auf, rüttelte behutsam seine Schulter. »Komm.«
    Sie atmete heftiger ein, ihr kam ein Gedanke. In einem anderen Tonfall sagte sie:
    »Hast du dich nicht ordentlich angezogen, als du bei Papa warst?«
    »Doch. Das ist es nicht.«
    »Hast du deine Mütze angezogen?«
    »Jaa. Das ist es nicht.«
    »Was ist es dann?«
    Oskar presste das Gesicht wieder ins Kissen, umarmte es und sagte: »…erdezumampie…«
    »Oskar, was sagst du?«
    »Ich werde zum Vampir!«
    Pause. Ein leises Rascheln von Mamas Mantel, als sie die Arme vor der Brust verschränkte.
    »Oskar. Du stehst jetzt sofort auf. Und ziehst dich aus. Und dann legst du dich wieder hin.«
    »Ich werde zum Vampir.«
    Mamas Atemzüge. Deutlich hörbar, wütend. »Morgen werde ich diese ganzen Bücher wegwerfen, in denen du immer liest.«
    Die Decke wurde fortgezogen. Oskar stand auf, zog sich langsam aus; vermied es, Mama anzusehen. Dann legte er sich wieder ins Bett, und Mama deckte ihn ordentlich zu.
    »Möchtest du etwas?«
    Oskar schüttelte den Kopf.
    »Sollen wir Fieber …?«
    Oskar schüttelte heftiger den Kopf. Jetzt sah er Mama an. Sie stand über das Bett gebeugt, die Hände auf den Knien. Forschende, bekümmerte Augen.
    »Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?«
    »Nein. Doch.«
    »Was denn?«
    »Nein, schon gut.«
    »Jetzt sag schon.«
    »Kannst du … mir ein Märchen erzählen?«
    Ein Flimmern verschiedener Gefühle zog über Mamas Gesicht; Trauer, Freude, Sorge, der Anflug eines Lächelns, eine Sorgenfalte. Alles binnen weniger Sekunden. Dann sagte sie: »Ich … kenne keine Märchen. Aber ich … ich kann dir eins vorlesen, wenn du willst. Wenn wir ein Buch haben …«
    Ihr Blick schweifte zu dem Bücherregal neben Oskars Kopf.
    »Nein, nicht nötig.«
    »Ja, aber das tue ich doch gern.«
    »Nein. Ich will nicht.«
    »Warum nicht? Du hast doch gerade gesagt …«
    »Ja, aber … nein. Ich will nicht.«
    »Soll ich … soll ich dir etwas vorsingen?«
    »Nein!«
    Mama kniff die Lippen zusammen, war verletzt. Dann beschloss sie, es nicht zu sein, weil Oskar krank war, und sagte: »Ich könnte mir sicher etwas ausdenken, wenn es …«
    »Nein, schon gut. Ich will jetzt schlafen.«
    Schließlich sagte Mama gute Nacht und verließ das Zimmer. Oskar lag mit weit offenen Augen im Bett, schaute zum Fenster. Er versuchte in sich hineinzuhorchen, ob er dabei war … einer zu werden, wusste jedoch nicht, wie sich das anfühlen sollte. Eli. Wie war es eigentlich dazu gekommen, als sie … einer geworden war?
    Von allem getrennt zu werden.
    Alles zu verlassen. Mama, Papa, die Schule … Jonny, Tomas …
    Bei Eli zu sein. Für immer.
    Er hörte, dass im Wohnzimmer der Fernsehapparat eingeschaltet, die Lautstärke hastig gesenkt wurde. Leises Klappern der Kaffeekanne in der Küche. Der Gasherd, der entzündet wurde, das Klirren von Tassen und Untertellern. Schränke, die geöffnet wurden.
    Die alltäglichen Geräusche. Er hatte sie hunderte Male gehört. Und er wurde traurig. So wahnsinnig traurig.
    *
    Die Wunden waren verheilt. Von den Kratzern auf Virginias Körper waren nur weiße Striche zurückgeblieben, hier und da Reste von Wundschorf, die noch nicht abgefallen waren. Lacke strich über ihre Hand, die von einem Ledergurt an den Körper gepresst wurde, und weiterer Wundschorf

Weitere Kostenlose Bücher