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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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vom Körper abgetrennt worden. Die Polizei notiert Namen und Telefonnummer bei den Katzen, die ein Halsband tragen, um die Besitzer benachrichtigen zu können. Die Straßenmeisterei wird hinzugerufen, um die Tierkadaver fortzuschaffen.
    *
    Noch eine halbe Stunde bis Sonnenaufgang.
    Eli sitzt zurückgelehnt auf dem Sessel im Wohnzimmer. Er ist die ganze Nacht, den Morgen über im Haus gewesen. Hat gepackt, was gepackt werden muss.
    Am nächsten Abend, sobald es dunkel geworden ist, wird Eli zu einer Telefonzelle gehen, ein Taxi rufen. Er weiß nicht, welche Nummer man anrufen muss, doch dies dürfte etwas sein, was ihm jeder sagen kann. Man muss nur fragen. Sobald das Taxi gekommen ist, wird er seine drei Kartons in den Kofferraum packen und den Taxifahrer bitten zu fahren …
    Aber wohin?
    Eli schließt die Augen und versucht sich einen Ort vorzustellen, an dem er gerne sein würde.
    Wie üblich stellt sich als Erstes das Bild der Kate ein, in der er mit seinen Eltern, seinen größeren Geschwistern gelebt hat. Aber sie gibt es nicht mehr. Außerhalb von Norrköping, wo sie damals stand, liegt heute ein Kreisverkehr. Der Bach, in dem Mama Kleider wusch, ist vertrocknet, zugewachsen, zu einer Senke am Straßenrand geworden.
    Eli hat genug Geld, könnte den Taxifahrer bitten, irgendwohin zu fahren, soweit die Dunkelheit es erlaubt. Nach Norden. Nach Süden. Könnte sich auf die Rückbank setzen und ihm sagen, dass er für zweitausend Kronen nach Norden fahren soll. Dann aussteigen. Neu anfangen. Jemanden finden, der …
    Eli wirft den Kopf in den Nacken, schreit zur Decke:
    »Ich will nicht!«
    Die staubigen Spinnweben werden von seinem Atemhauch sachte in Bewegung gesetzt. Der Laut erstirbt in dem geschlossenen Raum. Eli hebt die Hände vors Gesicht, presst die Fingerspitzen gegen die Lider. Spürt den nahenden Sonnenaufgang als eine innere Unruhe, flüstert:
    »Gott. Gott? Warum darf ich nichts haben? Warum darf ich nicht …«
    Diese Frage ist ihm inzwischen schon viele Jahre durch den Kopf gegangen.
    Warum darf ich nicht leben?
    Weil du tot sein solltest.
    Nachdem er sich angesteckt hat, ist Eli ein einziges Mal einem anderen Träger der Seuche begegnet. Einer erwachsenen Frau, die ebenso zynisch und geistig zerrüttet war wie der Mann mit der Perücke. Aber Eli bekam damals zumindest eine Antwort auf eine andere Frage, die ihn lange beschäftigt hatte.
    »Sind wir viele?«
    Die Frau hatte den Kopf geschüttelt und mit theatralischer Traurigkeit gesagt: »Nein, wir sind so wenige, so furchtbar wenige.«
    »Warum?«
    »Warum? Na, weil die meisten sich das Leben nehmen, natürlich. Das ist doch nicht schwer zu verstehen. Es ist ja solch eine Bürde, oh je, oh je.« Sie ließ ihre Hände flattern, sagte mit schriller Stimme: »Ooooh, ich ertrage es nicht, Menschen auf dem Gewissen zu haben.«
    »Können wir sterben?«
    »Natürlich. Wir brauchen uns nur selber in Brand zu stecken. Oder es die Menschen tun lassen; sie tun es nur zu gern, haben es zu allen Zeiten getan. Oder …« Sie streckte ihren Zeigefinger aus, presste ihn über dem Herzen ganz fest gegen Elis Brustkorb. »Dort. Dort sitzt es, nicht wahr? Aber jetzt, mein Freund, kommt mir eine hervorragende Idee …«
    Und Eli hatte vor der guten Idee fliehen müssen. Wie zuvor. Wie später.
    Eli legte die Hand aufs Herz, tastete nach seinen langsamen Schlägen. Vielleicht lag es daran, dass er ein Kind war. Vielleicht hatte er dem Ganzen deshalb kein Ende gesetzt. Die Gewissensbisse waren schwächer als seine Lust zu leben.
    Eli erhob sich vom Sessel. Håkan würde heute Nacht nicht kommen. Aber bevor Eli sich zur Ruhe begab, musste er noch nach Tommy sehen, sicher sein, dass er sich erholt hatte. Angesteckt hatte er sich nicht. Aber Oskar zuliebe wollte er sich vergewissern, dass Tommy über den Berg war.
    Eli löschte alle Lampen und verließ die Wohnung.
    In Tommys Treppenaufgang zog er die Kellertür einfach auf; er hatte schon vor einiger Zeit, als er mit Oskar hier unten war, ein Stück Papier in das Schloss gestopft, damit es nicht einrastete, wenn die Tür geschlossen wurde. Er trat in den Kellergang, und die Tür schloss sich hinter ihm mit einem dumpfen Schlag.
    Er blieb stehen, lauschte. Nichts.
    Keine Atemgeräusche eines Schlafenden; nur der durchdringende Geruch von Lösungsmitteln, Leim. Mit schnellen Schritten ging er zu dem Kellerverschlag und zog die Tür auf.
    Leer.
    Noch zwanzig Minuten bis zum Morgengrauen.
    *
    Tommy hatte die Nacht in einem

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