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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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seinem Schreibtisch und holte seine selbstklebenden Buchstaben heraus. Mitten auf den Umschlag klebte er ein »T« und ein »O«. Das erste »M« geriet etwas schief, aber das zweite klebte wieder gerade. Genau wie das »Y«.
    Als er mit dem Briefumschlag in der Jackentasche die Tür zu Tommys Haus öffnete, hatte er größere Angst als am Vorabend in der Schule. Vorsichtig und mit pochendem Herzen schob er den Umschlag ganz leise in Tommys Briefeinwurf, damit es keiner hörte und zur Tür kam oder ihn vom Fenster aus sah.
    Aber es kam niemand, und als Oskar in der Wohnung zurück war, fühlte er sich etwas besser. Jedenfalls eine Zeit lang. Bis sich schleichend wieder das Gefühl einstellte.
    Ich sollte … nicht hier sein.
    Um drei kam Mama nach Hause, Stunden früher als üblich. Oskar saß gerade im Wohnzimmer und hörte die Platte der Wikinger. Sie kam ins Zimmer, hob die Nadel an und schaltete den Plattenspieler aus. Ihr Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass sie Bescheid wusste.
    »Wie geht es dir?«
    »Nicht besonders.«
    »Nicht …«
    Sie seufzte, setzte sich auf die Couch.
    »Der Rektor deiner Schule hat mich angerufen. Auf der Arbeit. Er hat erzählt, dass … es gestern Abend gebrannt hat. In der Schule.«
    »Aha. Ist sie abgebrannt?«
    »Nein, aber …«
    Sie schloss den Mund, und ihr Blick verharrte für Sekunden auf dem handgewebten Teppich. Dann sah sie auf und begegnete seinem Blick.
    »Oskar. Warst du das?«
    Er sah ihr unverwandt in die Augen und sagte:
    »Nein.«
    Pause.
    »Nun ja, es war nämlich offenbar so, dass in der Klasse vieles kaputtgegangen ist, aber dass … dass die Pulte von Jonny und Tomas … dass es in denen angefangen hat zu brennen.«
    »Aha.«
    »Und die beiden waren offenbar ziemlich sicher, dass … dass du das getan hast.«
    »Aber das stimmt nicht.«
    Mama blieb auf der Couch sitzen und atmete durch die Nase. Sie saßen einen Meter voneinander entfernt, doch der Abstand zwischen ihnen war unendlich.
    »Sie wollen … mit dir reden.«
    »Ich will aber nicht mit ihnen reden.«
    Es würde ein langer Abend werden. Im Fernsehen lief nichts Gutes.
     
    In dieser Nacht konnte Oskar nicht schlafen. Er stand auf, tapste zum Fenster. Er hatte den Eindruck, dass in dem Klettergerüst am Spielplatz jemand saß. Aber das war natürlich nur Einbildung. Dennoch starrte er weiter den Schatten dort unten an, bis seine Lider schwer wurden.
    Als er sich ins Bett legte, konnte er trotzdem nicht schlafen. Vorsichtig klopfte er an die Wand. Keine Antwort. Nur das trockene Geräusch seiner eigenen Fingerspitzen, Knöchel auf Beton, an eine Tür klopfend, die für immer verschlossen war.

DONNERSTAG, 12. NOVEMBER
    Morgens übergab Oskar sich und durfte noch einen Tag zu Hause bleiben. Obwohl er in der Nacht nur wenige Stunden geschlafen hatte, konnte er sich einfach nicht ausruhen. Nagende Unruhe hatte seinen Körper gepackt und trieb ihn immer wieder durch die Wohnung. Er hob Dinge an, betrachtete sie, legte sie wieder zurück.
    Ihm war, als gäbe es etwas, das er tun sollte. Es war absolut zwingend, dass er es tat. Aber er konnte einfach nicht begreifen, was es war.
    Als die Pulte von Jonny und Tomas in Flammen aufgegangen waren, hatte er in dem Moment gedacht, das wäre es gewesen. Aber das war es nicht. Es musste etwas anderes sein.
    Eine große Theatervorstellung, die nun vorbei war. Er schlenderte auf der leergeräumten, unbeleuchteten Bühne umher und fegte zusammen, was vergessen worden war. Während es etwas anderes war …
    Aber was?
    Gegen elf kam mit der Post ein einziger Brief. Sein Herz machte einen Satz in seiner Brust, als er ihn aufhob, umdrehte.
    Er war für Mama. In der oberen rechten Ecke stand »Rektorat Södra Ängby« gestempelt. Ohne ihn zu öffnen, riss er ihn in kleine Fetzen, spülte sie in der Toilette hinunter. Bereute es. Zu spät. Es war ihm egal, was da stand, aber wenn er sich auf die Art einmischte, würde es noch mehr Ärger geben, als ihm ohnehin schon blühte.
    Aber auch das spielte keine Rolle.
    Er zog sich aus, streifte seinen Bademantel über. Stand vor dem Spiegel im Flur, musterte sich. Er tat, als wäre er ein anderer. Lehnte sich vor, um das Spiegelglas zu küssen. Als seine Lippen die kalte Fläche berührten, klingelte gleichzeitig das Telefon. Gedankenverloren hob er den Hörer ab. »Ja, ich bin’s.«
    »Oskar?«
    »Ja.«
    »Hallo, hier Fernando.«
    »Bitte?«
    »Ja also, Ávila. Lehrer Ávila.«
    »Ach so. Hallo.«
    »Ich wollte nur hören … kommst

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