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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sie ihm trotzdem wehtun?
    Der Stein, den er die ganze Zeit umklammert hatte, fiel ihm aus der Hand, und er brach endgültig in Tränen aus.
    Mit mitleidiger Stimme sagte Jonny:
    »Das Schweinchen flennt.«
    Jonny schien zufrieden. Die Sache war für heute erledigt. Er gab Micke das Zeichen, Oskar loszulassen. Die Weinkrämpfe und die Schmerzen in den Beinen ließen Oskar am ganzen Körper zittern. Seine Augen waren voller Tränen, als er den Kopf in ihre Richtung hob und Tomas’ Stimme hörte.
    »Und was ist mit mir?«
    Micke packte erneut Oskars Arme, und durch den Nebel, der seine Augen verschleierte, sah er Tomas auf sich zukommen. Er schluchzte:
    »Bitte, tu das nicht.«
    Tomas hob seine Rute und schlug zu. Ein einziges Mal. Oskars Gesicht explodierte, und er zuckte so heftig zur Seite, dass Micke ihn nicht mehr halten konnte oder wollte und sagte: »Verdammt, Tomas. Das war jetzt aber echt …«
    Jonny klang wütend.
    » Du kannst gefälligst mit seiner Alten reden.«
    Oskar hörte nicht, was Tomas erwiderte. Wenn er denn etwas erwiderte.
    Ihre Stimmen entfernten sich, sie ließen ihn mit dem Gesicht im Sand liegen. Seine linke Wange brannte. Der Sand war kalt, kühlte seine brennenden Beine. Er wollte auch die Wange in den Sand legen, wusste jedoch, dass er dies lieber lassen sollte.
    Er blieb so lange liegen, bis er anfing zu frieren. Schließlich setzte er sich auf und tastete vorsichtig seine Wange ab. Er hatte Blut an den Fingern.
    Er ging zur Schulhoftoilette, betrachtete sich im Spiegel. Seine Wange war angeschwollen und von halb geronnenem Blut bedeckt. Tomas musste so fest zugeschlagen haben, wie er nur konnte. Oskar wusch seine Wange ab und schaute erneut in den Spiegel. Die Wunde blutete nicht mehr, war nicht tief. Aber sie verlief fast über die ganze Wange.
    Mama. Was soll ich ihr sagen …
    Die Wahrheit. Er wollte getröstet werden. In einer Stunde kam Mama nach Hause. Dann würde er ihr erzählen, was sie ihm angetan hatten, und sie würde völlig außer sich sein und ihn immer und immer wieder umarmen, und er würde in ihre Arme sinken, in ihre Tränen, und sie würden gemeinsam weinen.
    Dann würde sie Tomas’ Mutter anrufen. Dann würde sie Tomas’ Mutter anrufen und sich mit ihr streiten und anschließend bittere Tränen darüber vergießen, wie gemein Tomas’ Mutter war und dann …
    Der Werkunterricht.
    Es war ein Unfall beim Werken passiert. Nein. Dann würde sie womöglich seinen Lehrer anrufen.
    Oskar musterte die Wunde im Spiegel. Wie konnte man sich so verletzen? Er war vom Klettergerüst gefallen. Das klang zwar wenig glaubwürdig, aber Mama würde es vermutlich glauben wollen. So konnte sie dennoch Mitleid mit ihm haben und ihn trösten, aber ohne das andere. Das Klettergerüst.
    In seiner Hose war es kalt. Oskar knöpfte sie auf und sah nach. Seine Unterhose war durchnässt. Er holte den Pinkelball heraus und spülte ihn aus. Er wollte ihn schon wieder in die nasse Unterhose zurücklegen, hielt dann jedoch inne und betrachtete sich im Spiegel.
    Oskar. Das da ist … Ooooskar.
    Er hob den ausgespülten Pinkelball an, setzte ihn sich auf die Nase. Wie eine Clownsnase. Der gelbe Ball und die rote Wunde auf seiner Wange. Oskar. Er sperrte die Augen auf, versuchte wahnsinnig auszusehen. Ja. Das sah richtig unheimlich aus. Er sprach zu dem Clown im Spiegel.
    »Jetzt ist Schluss. Hast du gehört? Jetzt ist es genug.«
    Der Clown antwortete nicht.
    »So kann es nicht weitergehen. Das darf nie wieder passieren, hast du gehört?«
    Oskars Stimme hallte in der leeren Toilette wider.
    »Was soll ich tun? Nun sag schon, was soll ich tun?«
    Er verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse, dass es in seiner Wange spannte, verstellte seine Stimme und machte sie so heiser und dunkel, wie er nur konnte. Der Clown sprach.
    »… töte sie … töte sie … töte sie …«
    Oskar schauderte. Das war tatsächlich ein wenig unheimlich. Es klang wirklich wie eine andere Stimme, und das Gesicht im Spiegel war nicht seins. Er nahm den Pinkelball von der Nase, stopfte ihn wieder in die Unterhose.
    Der Baum.
    Nicht dass er ernstlich daran geglaubt hätte, aber … er würde auf den Baum einstechen. Vielleicht. Vielleicht. Wenn er sich wirklich konzentrierte …
    Vielleicht.
    Oskar holte seine Tasche und eilte nach Hause, beschwor vor seinem inneren Auge herrliche Bilder herauf.
    Tomas sitzt an seinem Computer, als er den ersten Stich spürt, begreift jedoch nicht, woher er kommt. Er taumelt in die Küche,

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