So finster die Nacht
war und …
Ja, das war die Lösung.
Er packte seine Sachen und ging zum Sandkasten hinaus. Es dauerte doch nur zehn Minuten, die Sache zu erledigen. Wenn er es morgen erzählte, würde Jonny schallend lachen, ihm einen Klaps auf den Kopf geben und »tüchtiges, kleines Schweinchen« oder etwas in der Art sagen. Aber das war trotz allem besser.
Er schielte zum Klettergerüst hinauf, stellte seine Schultasche neben dem Sandkasten ab und fing an, die Steine aufzuheben. Zuerst die großen. London, Paris. Während er die Steine aufhob, spielte er, dass er die Welt nun rettete, von den schrecklichen Neutronenbomben befreite. Sobald die Steine aufgehoben wurden, krabbelten die überlebenden Menschen aus den Ruinen ihrer Häuser wie Ameisen aus einem Ameisenhaufen. Aber die Neutronenbomben beschädigten doch gar keine Häuser? Na schön, dann waren eben auch ein paar Atombomben abgeworfen worden.
Als er zum Rand des Sandkastens ging, um eine Ladung Steine loszuwerden, standen sie einfach da. Er hatte sie nicht kommen hören, war zu sehr in sein Spiel vertieft gewesen. Jonny, Micke. Und Tomas. In den Händen trugen alle drei lange, dünne Haselstrauchzweige. Peitschen. Jonny zeigte mit seiner Peitsche auf einen Stein.
»Da liegt noch einer.«
Oskar ließ die Steine fallen, die er in den Händen trug, griff nach dem Stein, auf den Jonny zeigte. Jonny nickte. »Gut. Wir haben auf dich gewartet, Schweinchen. Ziemlich lange gewartet.«
»Dann ist Tomas gekommen und hat uns erzählt, dass du hier bist«, sagte Micke.
Tomas’ Augen waren ausdruckslos. In der Grundschule waren Oskar und er Freunde gewesen, hatten oft auf Tomas’ Hinterhof gespielt, aber nach dem Sommer zwischen viertem und fünftem Schuljahr hatte Tomas sich verändert. Er redete anders, erwachsener. Oskar wusste, dass die Lehrer Tomas für den intelligentesten Jungen der Klasse hielten. Man merkte es daran, wie sie mit ihm sprachen. Er hatte einen Computer, wollte Arzt werden.
Oskar wollte den Stein in seiner Hand Tomas ins Gesicht schleudern. In den Mund, der sich nun öffnete und sprach.
»Willst du nicht weglaufen? Nun lauf schon.«
Es zischte, als Jonny seine Rute durch die Luft sausen ließ. Oskars Hand schloss sich fester um den Stein.
Warum laufe ich nicht.
Er spürte schon jetzt den brennenden Schmerz auf den Beinen, wenn ihn die Peitsche traf. Wenn er es bis auf den Parkweg schaffte, wo unter Umständen Erwachsene waren, würden sie es nicht wagen, ihn zu schlagen.
Warum laufe ich nicht.
Weil er ohnehin keine Chance hatte. Sie würden ihn niederringen, noch ehe er fünf Schritte weit gekommen war.
»Tut das nicht.«
Jonny drehte den Kopf, tat, als hätte er nicht verstanden.
»Was hast du gesagt, Schweinchen?«
»Tut das nicht.«
Jonny wandte sich Micke zu.
»Er meint, wir sollen das nicht tun.«
Micke schüttelte den Kopf.
»Aber wir haben uns doch so schöne …« Er wedelte mit seiner Rute.
»Was meinst du, Tomas?«
Tomas betrachtete Oskar, als wäre er eine Ratte, die, noch lebend, in ihrer Falle zappelte.
»Ich meine, das Schweinchen hat eine Abreibung verdient.«
Sie waren zu dritt. Sie hatten Peitschen. Es war eine extrem unangenehme Situation. Er würde Tomas den Stein ins Gesicht werfen oder ihn schlagen können, wenn er näher kam. Später würde es dann ein Gespräch mit dem Rektor geben und so weiter. Aber man würde Verständnis haben. Drei Burschen mit Peitschen.
Ich war … verzweifelt.
Er war überhaupt nicht verzweifelt. Im Gegenteil, trotz seiner Angst war er ganz ruhig, seitdem er sich entschieden hatte. Dann würden sie ihn eben auspeitschen, Hauptsache, dies gab ihm einen Grund, Tomas den Stein in sein ekelhaftes Gesicht zu hämmern.
Jonny und Micke kamen näher. Jonny versetzte Oskar einen Hieb auf den Oberschenkel, worauf Oskar sich unter dem brennenden Schmerz krümmte. Micke trat hinter ihn und packte seine Arme.
Nein.
Jetzt konnte er nicht mehr werfen. Jonny hieb ihm auf die Beine, drehte sich wie Robin Hood im Film, schlug erneut zu.
Oskars Beine brannten von den Schlägen. Er wand sich in Mickes Griff, konnte sich jedoch nicht befreien. Ihm stiegen Tränen in die Augen. Er schrie. Jonny versetzte Oskar einen letzten harten Peitschenhieb, der Mickes Bein berührte, sodass dieser aufschrie: »Scheiße, pass doch auf!«, jedoch nicht seinen Griff lockerte.
Eine Träne lief Oskars Wange hinab. Das war ungerecht! Er hatte die Steine doch aufgehoben, er hatte sich ihnen doch gebeugt, warum mussten
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