Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
drehten sich um. Jonny und Micke. Jonny hatte die Frage gestellt. Johan ließ den Stein fallen, den er in der Hand gehalten hatte.
    »Nee, wir haben nur …«
    »Dich hab ich nicht gefragt. Schweinchen? Was treibt ihr da?«
    »Steine werfen.«
    »Und warum?«
    Johan hatte sich einen Schritt entfernt, war ganz darauf konzentriert, seine Schuhe zuzubinden.
    »Weil … einfach so.«
    Jonny betrachtete den Sandkasten und machte eine weit ausholende Geste mit der Hand, die Oskar zusammenzucken ließ.
    »Hier sollen doch die kleineren Kinder spielen. Kapierst du das nicht? Du machst ja den ganzen Sandkasten kaputt.«
    Micke schüttelte betrübt den Kopf. »Sie könnten hinfallen und sich an den Steinen wehtun.«
    »Die wirst du jetzt schön wieder aufheben, Schweinchen.«
    Johan war immer noch mit seinen Schuhen beschäftigt.
    »Hörst du, was ich dir sage? Du wirst die jetzt aufheben.«
    Oskar rührte sich nicht vom Fleck, konnte sich nicht entscheiden, was er tun sollte. Der Sandkasten war Jonny natürlich vollkommen egal. Es war nur das Übliche. Es würde mindestens zehn Minuten dauern, alle Steine wieder aufzuheben, die sie geworfen hatten, und Johan würde ihm nicht helfen. Es konnte jeden Moment klingeln.
    Nein.
    Das Wort traf Oskar wie eine Erleuchtung. Wie einen Menschen, der zum ersten Mal das Wort »Gott« in den Mund nimmt und tatsächlich Gott meint.
    Das Bild seiner selbst, der Steine aufhob, nachdem die anderen hineingegangen waren, nur weil Jonny es gesagt hatte, war in seinem Kopf vorbeigeflimmert. Aber auch noch etwas anderes. In dem Sandkasten stand ein ähnliches Klettergerüst wie auf Oskars Hinterhof.
    Oskar schüttelte den Kopf.
    »Was soll denn das jetzt wieder?«
    »Nein.«
    »Was heißt hier nein? Du bist wohl schwer von Begriff. Ich hab dir gesagt, du sollst sie aufheben, und dann machst du das gefälligst auch.«
    »Nein.«
    Es klingelte. Jonny blieb stehen und sah Oskar an. »Du weißt, was das heißt, nicht? Micke.«
    »Ja.«
    »Wir schnappen ihn uns nach der Schule.«
    Micke nickte. »Bis nachher, Schweinchen.«
    Jonny und Micke gingen hinein. Johan stand auf, war fertig mit seinen Schuhen.
    »Das war verdammt bescheuert.«
    »Ich weiß.«
    »Warum zum Teufel hast du das gemacht?«
    »Weil …« Oskar warf einen Blick auf das Klettergerüst. »Weil es sich einfach so ergeben hat.«
    »Idiot.«
    »Ja.«
     
    Als der Unterricht vorbei war, blieb Oskar noch in der Schule. Er legte zwei leere Blätter auf sein Pult, holte sich das Lexikon vom hinteren Ende des Klassenzimmers, blätterte darin.
    Mammut … Medici … Mongole … Morpheus … Morse.
    Ja. Da war es. Die Punkte und Striche des Morsealphabets nahmen eine Viertelseite ein. Mit großen, deutlichen Buchstaben begann er, den Code auf das eine Blatt zu übertragen:
    A = • –
    B = – • • •
    C = – • – •
    Und so weiter. Als er fertig war, wiederholte er das Ganze auf dem zweiten Blatt, war mit dem Ergebnis jedoch nicht zufrieden. Er warf die Blätter fort und begann wieder von vorn, zeichnete die Zeichen und Buchstaben noch ordentlicher.
    Eigentlich war nur wichtig, dass eine Seite schön wurde: das Blatt, das Eli bekommen sollte. Aber die Arbeit machte ihm Spaß und gab ihm einen Grund, sitzen zu bleiben.
    Eli und er hatten sich jetzt eine Woche lang jeden Abend getroffen. Gestern hatte Oskar ausprobiert, an die Wand zu klopfen, ehe er hinausging, und Eli hatte ihm geantwortet. Anschließend hatten sie gleichzeitig das Haus verlassen. Daraufhin war Oskar die Idee gekommen, ihre Verständigung durch eine Art System zu verbessern, und da es das Morsealphabet bereits gab …
    Er musterte die fertigen Blätter. Schön. Das würde Eli sicher gefallen. Genauso wie sie Puzzles, Systeme mochte. Er faltete die Blätter zusammen, legte sie in den Ranzen, ließ die Arme auf dem Pult liegen. Er spürte ein Ziehen im Magen. Auf der Uhr im Klassenzimmer war es zwanzig nach drei. Er holte sein Buch aus dem Pult, Stephen Kings Feuerteufel, und las darin, bis es vier war.
    Sie konnten ja wohl kaum zwei Stunden auf ihn gewartet haben?
    Hätte er die Steine einfach aufgehoben, wie Jonny gesagt hatte, wäre er jetzt längst zu Hause gewesen und hätte sich okay gefühlt. Ein paar Steine aufzuheben war nun wahrlich nicht das Schlimmste, was sie ihm befohlen hatten. Er bereute, was er getan hatte.
    Und wenn er es jetzt machte?
    Seine Strafe würde morgen eventuell etwas milder ausfallen, wenn er erzählte, dass er nach der Schule noch geblieben

Weitere Kostenlose Bücher