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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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während Blut aus seinem Bauch strömt: »Mama, Mama, jemand ersticht mich.«
    Tomas’ Mutter würde dort stehen. Die Mutter, die ihren Tomas immer in Schutz nahm, ganz gleich, was er anstellte. Sie würde dastehen und vor Entsetzen wie gelähmt sein. Während die Stiche Tomas’ Körper immer mehr durchlöcherten.
    Er bricht in einer Blutlache auf dem Küchenfußboden zusammen, »… Mama … Mama«, während das unsichtbare Messer seinen Bauch aufschlitzt, sodass sich die Eingeweide auf das Linoleum ergießen.
    Nicht, dass es so funktionieren würde.
    Aber trotzdem.
     
    *
    Die ganze Wohnung stank nach Katzenpisse.
    Giselle lag auf seinem Schoß und schnurrte. Bibi und Beatrice balgten sich auf dem Fußboden. Manfred presste wie üblich seine Schnauze ans Fenster, während Gustaf Manfreds Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchte, indem er ihn mit dem Kopf in die Seite knuffte.
    Måns und Tufs und Cleopatra dösten auf dem Sessel; Tufs’ Pfote spielte mit ein paar losen Fäden. Karl-Oskar versuchte auf das Fensterbrett hinaufzuhüpfen, sprang jedoch vorbei und fiel rücklings auf den Boden. Er war auf einem Auge blind.
    Lurvis lag im Flur und belauerte den Briefeinwurf, war jederzeit bereit, aufzuspringen und zuzuschlagen, wenn Reklame kam. Vendela lag auf der Hutablage und betrachtete Lurvis; ihre deformierte rechte Vorderpfote hing zwischen den Gitterstäben herab, zuckte gelegentlich.
    Ein paar Katzen waren in der Küche und fraßen oder dösten auf dem Tisch und den Stühlen. Fünf lagen im Schlafzimmer auf dem Bett. Ein paar andere hatten ihre Lieblingsplätze in Schränken, die sie inzwischen selber öffnen konnten.
    Seit Gösta die Katzen auf Druck der Nachbarn nicht mehr hinausließ, kam kein frisches Genmaterial mehr hinzu. Die meisten Jungen, die geboren wurden, waren entweder schon tot oder doch so missgebildet, dass sie binnen weniger Tage starben. Gut die Hälfte der achtundzwanzig Katzen, die in Göstas Wohnung lebten, hatte irgendeinen Defekt. Sie waren blind oder taub und zahnlos oder hatten motorische Probleme.
    Er liebte sie alle.
    Gösta kraulte Giselle hinter dem Ohr.
    »Jaa … Liebes … was sollen wir nur tun? Du weißt es nicht? Nein, ich auch nicht. Aber etwas müssen wir doch tun, oder nicht? Mann kann das doch nicht einfach so laufen lassen. Das war doch Jocke. Ich kannte ihn. Und jetzt ist er tot. Aber das weiß keiner. Denn keiner hat gesehen, was ich gesehen habe. Hast du es gesehen?«
    Gösta senkte den Kopf, flüsterte.
    »Es war ein Kind. Ich habe es unten auf der Straße vorbeikommen sehen. Es hat unter der Brücke auf Jocke gewartet. Er ist darunter verschwunden … und nicht wieder herausgekommen. Am nächsten Morgen war er fort. Aber er ist tot. Ich weiß es.
    Was?
    Nein, ich kann nicht zur Polizei gehen. Kommt überhaupt nicht in Frage. Dann würden jede Menge Leute kommen und fragen … warum ich nichts gesagt habe. Mir so eine Lampe ins Gesicht halten.
    Es ist jetzt drei Tage her. Oder vier. Ich weiß es nicht genau. Was ist heute für ein Tag? Sie werden Fragen stellen. Ich kann das nicht tun.
    Aber irgendetwas müssen wir doch tun.
    Was sollen wir nur tun?«
    Giselle blickte zu ihm auf, leckte anschließend seine Hand.
    *
    Als Oskar aus dem Wald nach Hause kam, war das Messer von morschen Holzfasern verschmutzt. Er wusch es unter dem Küchenhahn sauber, trocknete es mit einem Handtuch ab, das er anschließend mit kaltem Wasser tränkte, auswrang und an seine Wange hielt.
    Bald würde Mama nach Hause kommen. Er musste wieder aus dem Haus, brauchte noch etwas Zeit – er war noch immer den Tränen nah, seine Beine brannten. Er holte den Schlüssel aus dem Küchenschrank, schrieb einen Zettel: »Komme gleich, Oskar.« Daraufhin legte er das Messer an seinen Platz zurück und ging in den Keller hinunter. Er schloss die schwere Tür auf, schob sich hinein.
    Er mochte den Kellergeruch. Es war ein vertrauter Duft aus Holz, alten Sachen und Muff. Spärliches Licht sickerte auf Bodenhöhe zum Fenster herein, und in der Dunkelheit deutete der Keller Geheimnisse, verborgene Schätze an.
    Linkerhand verlief ein langgestreckter Gang, an dem vier Kellerverschläge lagen. Wände und Türen waren aus Holz, die Türen mit größeren oder kleineren Vorhängeschlössern gesichert. Eine der Türen hatte verstärkte Scharniere: Dort war einmal eingebrochen worden.
    An der Holzwand am hinteren Ende des Gangs stand mit Filzstift geschrieben »KISS«. Die »S« hatten die Form von auseinander

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