So finster, so kalt
vierzig in Jeans und mit einem karierten Hemd über einem verwaschenen T-Shirt, der ihr zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte.
»Björn! Mit dem Bart habe ich dich gar nicht erkannt!«
Der Angesprochene lachte und fuhr sich mit der Hand über den gepflegten Vollbart. »Gefällt er dir? Ich habe immer Sorge, dass er mich zu alt macht. Ich trage ihn mehr aus marketingtechnischen Gründen.«
»Wie bitte?«
»Meine Frau meint, das macht mich authentischer. Hier.« Er deutete mit beiden Händen auf seine Kleidung. »Sie sagt, das wäre moderner Land-Look. Oder na ja, das ist unser Kompromiss, da ich mich weigere, eine Latzhose zu tragen. Komm, ich stehe im absoluten Halteverbot.«
»Hast du nicht Landwirtschaft studiert?«, fragte Merle, während sie rasch die Ankunftshalle des Flughafens durchquerten. Sie war froh, dass Björn ihr angeboten hatte, sie abzuholen. Ihr war ein wenig unwohl bei dem Gedanken, nach so langer Zeit nach Steinberg zurückzukehren. Aber mit Björn an ihrer Seite war sie bei ihrer Reise zurück in die Kindheit wenigstens nicht ganz allein.
Björn lachte wieder. »Stimmt. Ich habe den Hof übernommen. Statt der Schweine züchten wir allerdings jetzt Ziegen und stellen hauptsächlich Käse her. Alles bio. Dazu haben wir ein paar Gästezimmer, um die sich hauptsächlich meine Frau Sarah kümmert. Du wirst Sarah gleich kennenlernen.«
»Ach, und du meinst, dass du für deine Übernachtungsgäste nach Öko-Bauer aussehen solltest?«
»Genau.«
Merle stimmte in sein Lachen ein. Es hatte eine ganz eigenartige Wirkung, und ihr fiel auf, dass sie schon ewig nicht mehr gelacht hatte. Es hatte zu lange keinen Grund mehr gegeben. Schlagartig wurde sie ernst.
Björn sah es und hielt zerknirscht inne. Mit einem befangen gemurmelten »Mein Beileid«, streckte er die Hand aus.
Merle winkte ab, versuchte, sich gelassen zu geben. »Omi war gesund und ist friedlich eingeschlafen. Papa wollte immer, dass sie das Haus aufgibt und ins Dorf zieht. Das war bis zuletzt nicht notwendig. Mehr kann ich mir doch wirklich nicht wünschen.« Das hatte sie sich die letzten vierundzwanzig Stunden eingeredet, und inzwischen fand sie sogar Trost in dieser Vorstellung.
»Stimmt schon.« Björn stockte kurz. »Sie ist schon vor drei Tagen gestorben. Aber es war nicht ungewöhnlich, wenn Mago nicht ins Dorf kam. Sie hatte sich in letzter Zeit etwas zurückgezogen. Die Kinder gingen trotzdem regelmäßig zu ihr. Ich habe immer bewundert, welche Engelsgeduld sie für die Bande aufgebracht hat. Einzeln sind sie sehr niedlich, und die eigenen sind ja nie so schlimm, aber die ganze Dorfjugend auf einen Haufen kann ganz schön anstrengend sein.«
Er grinste schon wieder, war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Wehmütig dachte Merle an die Zeit zurück, in der sie ihn heiraten, auf seinen Bauernhof ziehen und Ferkel züchten wollte. Allerdings sollten die Schweine nicht geschlachtet werden, wenn sie ausgewachsen waren. Björn hatte das zwar nie verstanden, aber heiraten hatte sie ihn trotzdem wollen.
Es war nicht nur Wehmut, Merle gestand sich innerlich ein wenig Neid auf diese Sarah ein. Björn hatte in ihrem Telefonat zwar seine Tochter erwähnt, doch erst mit dem persönlichen Aufeinandertreffen war Merle bewusst geworden, dass er schon lange ein ganz anderes Leben lebte als sie. Einerseits war ihr völlig klar, dass sie nicht zu einem Dasein auf einem Bauernhof geschaffen war. Aber eine unbestimmte Sehnsucht und das Gefühl, etwas verpasst zu haben, blieben. Sie biss sich stumm auf die Unterlippe und dachte daran, dass Michael sie wieder einmal auslachen würde, wenn er von diesen Gedanken erführe. Aber das würde kaum passieren. Sie würde ihm bestimmt nicht mehr erzählen, was ihr durch den Kopf ging. Jetzt nicht mehr. Sie lächelte bitter. Wenn sie ehrlich war, hatte es ihn auch schon lange nicht mehr interessiert.
Auf dem Parkplatz führte Björn sie zu einem Range Rover und öffnete die Beifahrertür. »Du kannst deine Tasche auf den Rücksitz legen«, sagte er, während er versuchte, etwas verlegen, aber erfolglos ein paar Hundehaare vom Beifahrersitz zu wischen, bis Merle ihn unterbrach. »Lass nur, das macht mir nichts aus.«
»Aber dein Mantel …«
»Den kann man reinigen. Ich ärgere mich gerade selbst, dass ich keine praktischere Kleidung mitgenommen habe. Ich komme direkt aus der Kanzlei.« Sie drängte Björn zur Seite und stieg in das Auto. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ans Steuer zu
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