So fühlt sich Leben an (German Edition)
mit Sicherheit das kleinste Badezimmer der Welt war, und eine Mischbatterie, die jederzeit brav warmes Wasser spuckte. Auch mit der Heizung, die einwandfrei funktionierte, wobei ich mir die Sache mit der Fernwärme nach den Beschreibungen meiner Eltern so zusammenreimte, dass sie direkt aus Russland zu uns kam. Selbst mit dem Müllschlucker, der bequem auf dem Weg zum Fahrstuhl lag, allerdings immer ekelhaft nach Moder und Kotze stank und wohl auch für die Armee von Kakerlaken in unserer Küche verantwortlich war. Das absolut Größte aber war der Fahrstuhl, weil es so lange dauerte, bis man auf unserer Etage ankam, und einem unterwegs so ganz allmählich immer klarer wurde, wie weit oben unsere Wohnung lag. Nämlich hoch über allem.
Ja, und eben mein Bambirad.
Nach dem Kindergarten bin ich oft stundenlang um unseren Block gecruist. An den Schaufenstern des ungeheuer großen Kaufhauses entlang, in dessen Kellerräumen der Weihnachtsmann mit seinen Helfern wohnte und das ganze Jahr über Weihnachtsgeschenke zusammenstellte und in Geschenkpapier einwickelte, wenn ich den Worten meiner Eltern glauben durfte. Und weiter bis zu diesem Riesenteil von Ostbahnhof mit seiner Glaskuppel. Und die ganze Zeit war in meinem Kiez was los. Lkws belieferten das Kaufhaus, und ich sah stundenlang den Brummis zu, wie sie ein- und ausparkten, und grüßte die Trucker, winkte ihnen zu und erntete hin und wieder ein verschwörerisches Augenzwinkern. Noch glücklicher machte mich, wenn sie zum Abschied laut hupten. Ich war also einer von ihnen. Männer unter sich…
Eine großartige Zeit. Und ich ein hochzufriedener kleiner Knirps, der nichts als Abenteuer im Kopf hatte und immer auf der Suche war nach neuen Wegen, neuen Ecken und neuen Plätzen– übrigens selten allein, meist in einem Pulk von Kumpeln, die die Straßen mit mir zusammen unsicher machten, bis es dunkel wurde und der Fahrstuhl mich erwartete. Den Knopf gedrückt, und ab ging’s, aufwärts, aufwärts, aufwärts, ins nächste Reich der Träume.
Eines Tages, ich muss fünf gewesen sein, eröffneten mir meine Eltern, dass wir umziehen würden. In eine viel schönere Gegend. Nach Marzahn. Und wenn sie davon sprachen, klang es nach attraktivem Wohnen in einem kompletten Neubauviertel und allen Annehmlichkeiten, die Fortschritt und Sozialismus auf dem Gebiet des Wohnungsbaus zu bieten hatten. Außerdem sollte ich dort eingeschult werden und freute mich auf diesen Tag wie alle Kinder meines Alters. Also setzten wir uns irgendwann in unseren Lada und brausten genau dort hin, nach Marzahn am Rand von Ostberlin, um die neue Heimat mal in Augenschein zu nehmen. Heia Safari! Ich war gespannt.
Wo wir ausstiegen, deutete nichts, aber auch gar nichts auf attraktives Wohnen hin. Was sich meinen Augen bot, war eine gigantische Baustelle, aus der sich, nachdem die erste Verwirrung abgeklungen war, folgende Bestandteile herausfiltern ließen: Acker, Modder, Pfützen, Bauarbeiter, Baugruben, riesige Sandberge, riesige Kabeltrommeln, riesige Kräne sowie halbfertige Rohbauten aus grauen Betonplatten mit ausgestanzten Rechtecken, immer an der gleichen Stelle, immer im selben Format– Plattenbau eben, das Legosystem des Ostens. Und jeder Arbeiter hier hatte schlechte Laune, schraubte sich ein Bier nach dem anderen an den Hals, beäugte uns grimmig, pöbelte seinesgleichen an oder pfiff meiner Mutter hinterher. Na ja. Meine Eltern würden schon wissen, was sie taten.
So, und das sollte also unsere neue Bleibe werden. Eine elfstöckige Platte am Murtzaner Ring. Wir staksten über Holzpaletten und dreckbeschmierte Styroporplatten an Schlammlöchern vorbei zum Eingang, nahmen uns das kahle Treppenhaus vor und standen kurz darauf in unserer Wohnung im neunten Stock. Hm. Ich war alles andere als überzeugt. Bis zum Einzug müsste hier noch viel passieren. Auch der Ausblick war ernüchternd. Ich trat auf den Balkon hinaus und sah– Baustelle. Nichts als Baustelle.
Komische Gegend, dachte ich.
2 | Pionierarbeit a. D.
Meine Vorbehalte waren begründet. Sie überstanden unseren Umzug trotzdem nicht. Ich brauchte ein paar Wochen, um die Situation zu erfassen, aber dann war ich mit Marzahn restlos versöhnt. Erstens, weil eine Baustelle von diesen Ausmaßen für ein Kind wie mich das Paradies auf Erden war– und gebaut wurde ja weiter, nichts war hier fertig und ein Ende der sozialistischen Aufbautätigkeit in weiter Ferne. Zweitens, weil auch die Schule vollkommen okay war– anfangs
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