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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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aufkreuzten. Wir hatten ja nur S50 und MZ , und die Klassenfeinde fuhren Kawasakis und Hondas, mit den dicksten Reifen hinten drauf. Ich verstand die Welt nicht mehr. Für mich konnten das nur Rennmaschinen sein. Aber was machten so viele Rennfahrer auf unserem Campingplatz? Egal. Schmöckwitz stand für das Beste aus zwei Welten und war damit voll in Ordnung.
    Wie überhaupt alles. Auch unsere Platte.
    Denn die erwies sich im Endeffekt als ein einziges großes Kollektiv, wo jeder jeden kannte und rund um die Uhr Party war. Mal saßen die Nachbarn bei uns, mal traf man sich in unserem eigenhändig ausgebauten Klubkeller und feierte im Licht der Neonröhren, das durch NVA -Tarnnetze unter der Decke so weit gedämpft wurde, dass Stimmung aufkam. Da gab’s eine Bar, da hingen ein paar Girlanden rum, da war auch ausreichend Platz für Rambazamba und Bambule. Oft saßen meine Eltern nach einem langen Wochenende noch mit Nachbarn in diesem Keller zusammen und diskutierten erregt über das Thema, das ganz Marzahn in Atem hielt: die goldene Hausnummer. Damit wurde der schönste Vorgarten prämiert, und deshalb tobte vor jedem Hauseingang ein verbissener Kampf mit Harke und Spaten. Also alle für einen, einer für alle, und ab die Post, den Vorgarten verschönern. Da war auch Klein-Hagen mit von der Partie und kämpfte mit dem Spaten in der Hand wie weiland Adolf Hennecke darum, das Plansoll zu übertreffen. Ich war’s ja gewohnt, denn in der Schule stand » Pflege des Schulgartens« auf dem Unterrichtsplan, und wenn meine Schulnoten inzwischen auch zu wünschen übrig ließen– was Umgraben anging, war ich unschlagbar. Einen Nachmittag geackert, und fertig war das Beet.
    Es kam vor, dass dann der ABV , unser Abschnittsbevollmächtigter, um die Ecke bog und uns beim Wühlen zuschaute. Er wohnte drei Aufgänge weiter und vertrat die Staatsgewalt in unserer Straße, nur dass er nicht wie andere Volkspolizisten im Auto durch die Gegend fuhr, sondern sein Revier zu Fuß abschritt. Braune Tasche über der Schulter, Dienstpistole am Gürtel, so drehte er seine Runden im Kiez, schlichtete Streitigkeiten, achtete penibel darauf, dass keiner aus der Rolle fiel und niemand aus der Reihe tanzte, und wenn mein Vater an seinem Lada schraubte und ein paar Tropfen Öl verschüttete, schritt er ein. Solange die Mauer stand, war der ABV eine absolute Respektsperson. Zu dem musst du nett sein, das wusste jeder, und auch ich bekam von meinem Vater zu hören: » Sollte er deinen Weg kreuzen, sei schön höflich zu ihm und sag Guten Tag.« Nur hinter vorgehaltener Hand hieß es schon mal: » Was für ein Idiot. Für wen hält der sich? Was bildet der sich ein?« Ich grüßte ihn trotzdem weiterhin höflich, aber wenn er im Sommer ins Schwitzen geriet und seine Polizeimütze abnahm, dann sah man, dass er sich die letzten drei Haare über die Glatze kämmte und mit seiner Wampe eigentlich ganz genau wie der kleine, dicke Fiesling aussah, für den die meisten von uns ihn hielten.

3 | Baron Münchhausen
    Die große, weite Welt blieb mir verschlossen. Wer einmal drin war im sozialistischen Vaterland, der hatte zu bleiben; schon für Ungarn brauchte man ein Visum, aber mir stand der Sinn sowieso nicht nach Reisen. Heimatliche Gefühle gingen mir über alles. Klar, im Prinzip war nichts daran auszusetzen, auch mal Urlaub zu machen, mal für zehn Tage in ein FDGB -Heim an die Ostsee oder auf den Brocken oder an einen der Mecklenburger Seen zu fahren, nur– ich vermisste daheim gar nichts. Marzahn war meine Welt, der Springpfuhl mein Ozean und der Trümmerberg hinterm Haus mein Mount Everest. Für einen Träumer völlig ausreichend.
    Höchstens die Tschechoslowakei konnte da mithalten.
    Drei-, viermal sind wir mit dem Wohnwagen ins Nachbarland gefahren, bis die spektakuläre Gebirgsformation der Tatra ins Bild kam. Schöne Urlaube, weil man als Kind auf den Campingplätzen gleich Anschluss fand und weil ich meinen Vater so entspannt wie nie erlebte. Diese zwei Wochen waren die einzige Zeit des Jahres, in der ich meine Eltern für mich hatte. Wir sind viel durch die Naturschutzgebiete gewandert; Kuje und Muttern legten Wert darauf, dass Klein-Hagen was von der Natur mitkriegte. Klein-Hagen war allerdings kein großer Wanderer, der musste mitgeschleppt werden und konnte der Lauferei noch am meisten abgewinnen, wenn sein Vater ihn auf die Schultern nahm. Wenn ich mich dann an seinem unrasierten Kinn festhielt, fühlte ich die Bartstoppeln, und das hat

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