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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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Bauarbeiter gebrauchen, die nicht lachen.«
    Okay, offenbar hatte ich falsche Vorstellungen vom sozialistischen Realismus. Hatte ich womöglich auch falsche Vorstellungen vom Sozialismus? Wir waren ja eigentlich linientreu. Mein Vater (Jahrgang 1950) war genau wie meine Mutter ein echtes Kind der DDR , und auf meine eigene Linientreue war bislang ebenfalls Verlass gewesen. Nach diesem Gespräch hatte ich allerdings das Gefühl, dass irgendwas an der Sache nicht ganz stimmte.
    Um aber keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Obwohl ich Wort und Bild ganz gut beherrschte, war die Schule nicht wirklich mein Ding.
    Schon die Hausaufgaben brachten mich jeden Nachmittag aufs Neue in einen Gewissenskonflikt. Einerseits war ich sehr gespannt, wie meine Eltern sie finden würden, wenn sie abends von der Arbeit kamen, andererseits konnte ich nie schnell genug damit fertig werden, weil ich raus musste, ins Freie– das Fahrrad wartete, die Kumpel warteten, der Springpfuhl wartete. Und für Bücher war ich auch nur schwer zu gewinnen. Zu den Leseratten würde ich mich heute noch nicht zählen, weil mich beim Lesen immer die gleiche Unruhe wie damals befällt und ich mich frage: Gibt’s eigentlich nichts anderes und Wichtigeres zu tun? Wenn ich aber ein Buch anfange und es mir gefällt, kann ich es nicht zuklappen und erst am Morgen weiterlesen– ich drücke bei einem Film ja auch nicht mittendrin auf Stopp und sage: Den Rest sehe ich mir morgen an. Also, in der Schulbibliothek hat man mich sehr, sehr selten angetroffen.
    Genauso selten übrigens im Kino. Das Kino stellte für mich keine Versuchung dar. Ich erwähne das, weil es mich auf einen Punkt bringt, den ich nicht vergessen darf. An Kinos gab es in Marzahn sowieso nichts Dolles. Der Eintritt im Sojus kostete zwar bloß 50Pfennig, aber die Filme waren nicht berühmt. Der einzige, der mir richtig gut gefallen hat, hieß Das Geheimnis der Monsterinsel, den habe ich mir dann auch drei-, viermal angesehen. Und das Gleiche traf aufs Fernsehen zu. Viel spielen hieß für mich jahrelang wenig fernsehen. Bis– und jetzt kommt’s– bis die Olsenbande ins ostdeutsche Fernsehen Einzug hielt. Das war eine dänische Produktion, die offenbar als unbedenklich galt und deshalb freigegeben wurde, und von da an gab’s bei mir kein Halten mehr. Das DDR -Fernsehen brachte massenhaft Folgen der Olsenbande, und ich habe jede eingesogen wie ein Staubsauger.
    Bis heute bin ich ein Riesenfan der Olsenbande. Die wird mein nächstes Tattoo abgeben. Ich werde mir die ganze Olsenbande auf den Bauch tackern lassen, den Egon, den Kjeld und den Benny– Egon, der Chef, immer ’ne Melone auf dem Kopf und ’ne Zigarre im Mund, Benny, ein Zwei-Meter-Hüne mit Hochwasserhosen und gelben Strümpfen, und Kjeld, ein Dicker mit zwei linken Händen. Verrückterweise haben die drei viel mit meinem Leben zu tun. Die hatten nämlich immer einen mächtig gewaltigen Plan, und wenn ich selbst heute einen mächtig gewaltigen Plan habe, dann ist es für mich sehr amüsant zu wissen, wie diese Pläneschmiederei bei Egon Olsen und seiner Bande regelmäßig ausging: Sie haben ihren Plan nämlich grundsätzlich vergeigt. Da hatten sie also endlich ihren Schatz erbeutet, und dann haben sie ihn an der Bushaltestelle liegen lassen… Aber der Reihe nach.
    Die drei treffen sich vor jedem neuen Coup bei Kjeld, dem Dicken. Kjeld ist ein Duckmäuser, wohingegen seine Frau Yvonne eine Energische ist und den dreien gleich als Erstes den Marsch bläst, weil böse Ahnungen sie beschleichen. Die Jungs lassen sich aber nicht beirren, setzen sich an den Küchentisch, genehmigen sich ein Bier, und dann schaut Egon seinen Kumpeln tief in die Augen und sagt: » So, Freunde. Ich habe einen mächtig gewaltigen Plan…« Benny wie auch Kjeld freuen sich wie verrückt über diesen Plan, und dann sieht man, wie sich Egon das Ding vorstellt, das er drehen will, also zum Beispiel die Kronjuwelen von England klauen, weil sie gerade in Kopenhagen zwischengelagert werden. Und die ganze Zeit über raunen Benny und Kjeld ergriffen: » Mächtig gewaltig, Egon. Mächtig gewaltig. Jetzt holen wir uns die Asche.« Der Clou ist, dass Egon am Ende jedes Films als Einziger festgenommen wird und in den Knast wandert, weshalb jeder neue Film damit beginnt, dass er gerade freigelassen wird und die anderen beiden ihn am Gefängnistor abholen. Großartig. Und das Verrückteste: Mittlerweile habe ich meine eigene Olsenbande. Ich bin Egon, mein Manager

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