So habe ich es mir nicht vorgestellt
dem Babybett. Sie ist bereit. Falls Feuer ausbrechen sollte. Und es ist egal, daß an ihrem Pyjama oben ein Knopf fehlt. Wenn man aus einem brennenden Haus flieht, darf man sogar nackt sein.
Aus dem Treppenhaus kommen die bekannten Schritte. Springen eilig herauf. Schritte von jemandem, der nur mit der halben Schuhsohle die Stufen berührt, die andere Hälfte hängt in der Luft. Er wird die Tür aufmachen, sie wird etwas später kommen, nach ihm. Noch bevor das Mädchen hört, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wird, ist sie auch schon im Bett und hat das Licht ausgemacht, das Buch liegt nun unter der Decke. Sie preßt die Augen ganz fest zu. Sie stehen neben dem Bett. Sie decken sie zu. Sie sind da. Nun muß sie bis morgen warten, um zu erfahren, wie es mit Pierrot weitergeht. Und bevor sie einschläft, muß sie noch daran denken, daß Léopold nicht tot ist. Schließlich erzählt er die Geschichte, er kann also gar nicht gestorben sein. Er lebt auch danach noch. Um Léopold braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Und schon sind wieder Stoppeln auf der Wange gewachsen, die an die ihre gelegt wird. Es sticht, als sie an ihrer gerieben wird. Und der bekannte Geruch ist wieder da, warm, verschwitzt und nach Zigaretten.
Aus dem Schlafzimmer der Eltern dringen gemurmelte Worte herüber, in ihrer Sprache. Sie unterhalten sich noch. Dann wird das Licht in der Küche angemacht, man hört Wasser laufen. Sie wollen Tee trinken. Die Mutter wird Marmelade auf einen Teelöffel tun und sie mit weißem Käse essen. Das Mädchen hat es selbst einmal versucht, hat es aber nicht herunterbekommen. Und die ganze Zeit dieses leise Reden. Worte steigen auf und fallen wieder. Man könnte aufstehen und zu ihnen gehen, wenn man wollte. Aber sie sind dort mit sich allein, und sie ist hier mit sich allein, und mit »Bug Jeragel« in Rot und einem goldenen Stern auf dem Rot. Man kann den Einband streicheln. Man müßte auf jedes Wort achten, das dort in der Küche gesprochen wird, aber es ist so schwer, zuzuhören. Wenn man das Buch hochhält, kann man vielleicht mit dem Licht aus der Küche lesen. Dann würde sie erfahren, was es mit »Bug Jeragel« auf sich hat. Und was bedeuten die Wörter »poetisch«, »Genie« und »Improvisation«, die auf Seite neunundsiebzig stehen? Sie muß morgen Siwa, ihre Lehrerin, danach fragen. Und auch nach den anderen schweren Wörtern, die danach kommen.
3. Der Unfall
Es sei doch bekannt, daß sich nach einer schlaflosen Nacht, keiner Nachtwache wegen einer Operation, sondern einer, in der man sich von der einen Seite auf die andere dreht, einer, wie sie sie hinter sich habe, die gewohnten Maßstäbe verschieben, sagte Margaliot und glättete die letzte Falte am Ärmel seines Hemdes. Er spannte den rechten Arm und beugte ihn, betrachtete interessiert die schmeichelnde Linie und zog dann den linken Ärmel ebenfalls nach unten. Dann nickte er lange hinter seinem Schreibtisch. Wie ein Kind, das erwartet hat, ein Bonbon zu bekommen, und statt dessen geschimpft wird, stand Jo’ela in der Tür und betrachtete das kleine Lächeln, das in seine Augen getreten war, noch während sie wie gehetzt, manchmal sogar stotternd, von den Ergebnissen der Blutuntersuchung berichtet hatte. »Einstweilen ist alles negativ, aber die genetische Untersuchung ist noch nicht da«, schloß sie.
Er habe einmal, sagte Margaliot und machte eine Handbewegung zu dem Stuhl ihm gegenüber (»Setzen Sie sich, setzen Sie sich doch, wir haben etwas zu besprechen«, sagte er ungeduldig, als sie nicht sofort reagierte), einen Fall gehabt, der ihn ähnlich involviert habe. Gerade deshalb bitte er sie, zu den gewohnten Maßstäben zurückzukehren, meinte er väterlich. Und wenn nun also – er warf wieder einen prüfenden Blick auf die Liste der Untersuchungsergebnisse – all diese Untersuchungen negativ ausgefallen seien, müsse man zu dem Schluß kommen, daß hier etwas anderes vorliege, vielleicht etwas sehr Interessantes. Aber es sei sinnlos, über die psychologischen Aspekte einer Patientin zu sprechen, deren Eltern jede Mitarbeit verweigerten, jedenfalls solange nichts anderes erwiesen sei. Er kratzte sich an dem kleinen Doppelkinn, das er sich in den letzten Jahren zugelegt hatte, und im Zimmer war plötzlich nur noch zu hören, wie seine Finger über die Bartstoppeln schabten. Jo’ela meinte fast zu hören, wie sie wuchsen. Er zog eine Schreibtischschublade auf, nahm eine verbotene Zigarette heraus und rollte sie
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