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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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zwischen den Fingern. Jo’ela schwieg, auch als er sie anblickte, als erwarte er ihre Zustimmung. Nun erinnerte er sie daran, daß das Mädchen minderjährig sei, sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befinde und es daher keine objektive Berechtigung für eine Einmischung ihrerseits gebe. Obwohl er persönlich immer dafür sei, nicht nur den medizinischen Aspekt zu beachten.
    »Ich habe vorhin Ihr Gespräch mit dem Rabbiner mit angehört und habe meinen Ohren nicht getraut«, sagte er, und nun war das kleine Lächeln ausgelöscht. »Ich konnte es einfach nicht glauben. Wollen Sie sich Ihre guten Beziehungen mit diesen Leuten verderben oder was? Wir haben keine andere Ärztin auf der Station, Sie sind die einzige. Diese fromme Klientel ist für Sie das Huhn, das goldene Eier legt, das ist es, was Ihnen damit geboten wird.« Er beugte sich vor. »Ich sage Ihnen, noch ein Gespräch wie dieses, und Sie sind für sie erledigt. Haben Sie das verstanden? Sie werden keine Patientin mehr von ihnen bekommen. Schließlich wissen wir, daß bei diesem Mädchen keine Heilung möglich ist – auch wenn wir die Gründe herausfinden, wenn wir verstehen, was los ist.«
    Jo’ela blickte ihm in die Augen. Ein halbdunkles Grünbraun, in graublauen Halbmonden versunken. Die Augen eines alternden Mannes, der einmal schön und freudlos gewesen war. »Was können Sie für das Mädchen tun? Ihr eine Gebärmutter einbauen?«
    »Erstens«, sagte Jo’ela zornig, »hat noch niemand gesehen, was da drin eigentlich los ist, wir haben noch nicht mal eine Ultraschalluntersuchung gemacht, weil sie es nicht erlauben.«
    »Nicht erlauben, gut, dann ist es eben so. Was wollen Sie? Gewalt anwenden?«
    »Was bringt es Ihnen eigentlich, so vorsichtig mit diesen Leuten umzugehen?« fragte sie mit klarer Stimme.
    In der Stille, die sich plötzlich ausbreitete – sie sah, wie er überlegte, und sie sah auch, daß er beschloß, ihre Worte zu ignorieren –, hörte man von draußen, vor dem Hintergrund menschlicher Stimmen, das Quietschen des großen Wagens, der das Abendessen brachte.
    Margaliot lehnte sich in seinem Sessel mit der knarrenden, lederbezogenen Lehne zurück und sagte: »Normal wird sie schließlich nie sein. Was können Sie ihr vorschlagen?«
    Für einen Moment war die Besessenheit zu sehen, die sie schon den ganzen Tag gepackt hatte, heute, gestern, vorgestern – eine kindliche, unvernünftige, ja sogar zerstörerische Besessenheit. Plötzlich fiel ihr die Frau ein, die draußen im Flur auf eine Schleimhautuntersuchung wartete. Sie saß schon seit den Mittagsstunden da, und als Margaliot endlich zu seinem Zimmer gekommen war, hatte er der Frau die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: »Nur noch ein paar Minuten, ja?« Die Frau hatte genickt und war wieder auf ihren Stuhl gesunken, im Flur vor seinem Zimmer. Jo’ela dachte nur einen Moment an sie, dann sagte sie: »Erst nach den genetischen Untersuchungen werden wir die Wahrheit wissen. Ich weiß wirklich nicht genau, was ich tun kann, aber eines ist sicher: Ich werde nicht zulassen …«
    Sein Gesicht strahlte jetzt die gelassene Aufmerksamkeit aus, von der sich nicht nur seine Patientinnen so angezogen fühlten, sondern auch viele Ärzte. Diese gelassene Aufmerksamkeit war Jo’elas Meinung nach auch schuld daran, daß ihm immer wieder irgendwelche Liebesgeschichten nachgesagt wurden, von denen sie in den Kreißsälen hatte reden hören, auf die sie selbst aber nie einen Hinweis gefunden hatte, sie brachte auch seine Sekretärin dazu, sich für ihn aufzuarbeiten, und versetzte ihn jetzt in die Lage, sich mit ihr zu unterhalten, als habe er alle Zeit der Welt, als gebe es für ihn nichts Wichtigeres. Sie erlaubte ihm, die Frau draußen im Flur warten zu lassen, aus der hochmütigen Sicherheit heraus, daß er sie nachher mit einem einzigen Lächeln würde besänftigen können, mit einem freundlichen Wort. Es war, als habe er für sie seine letzten Reserven an geduldigem, gelassenem und warmem Aussehen aktiviert, um sich alles anzuhören, was sie zu sagen hatte. Doch sein schneller Blick auf die Uhr und der prüfende Griff nach der Falte am rechten Ärmel waren ein Zeichen für die Spannung, die hier im Zimmer herrschte. »So, Sie werden es nicht zulassen«, sagte Margaliot, als prüfe er jedes Wort, und wiederholte: »Sie werden es nicht zulassen.« Dann richtete er sich plötzlich auf, zündete die Zigarette an und sagte, während er den Rauch ausstieß: »Was soll das

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