So habe ich es mir nicht vorgestellt
Schne’ur, hat der Vater ihr zugeflüstert, aber er schreibt keine Geschichten. Nur Gedichte. Jona hat immer ein besticktes Kleid an und viele schwere silberne Ketten mit glatten, gelben Steinen. Was bringst du mir mit? Wann bringst du mir was mit? fragt das Mädchen, zusammen mit den anderen Kindern, und Jona lächelt sie an. Sie hat feuchte braune Augen. Das Mädchen weiß, daß sie nichts mitbringen wird. Bring mir einen Ring, wirklich, bring mir einen Ring, hat sie Jona auf der Straße gebeten, und immer drängen sich die Kinder um die Frau, um schnell mal die große Halskette zu berühren. Sie auch. Öfter als alle anderen fragt sie: Wann, wann? und erkundigt sich jedesmal, ob sie auch ein Armband mitbringen wird. Und Jona lächelt und verspricht es. Ja, ja, sagt sie und nickt. Bringst du mir wirklich was mit? hat das Mädchen dreimal gefragt, und Jona hat genickt. Wenn sie nickt, bewegen sich ihre großen Ketten, und ihre Ohrringe glitzern. Wann, wann? Morgen, morgen, sagt Jona und lächelt. Es lohnt sich, ihr zu glauben, das Mädchen will ihr glauben. Wenn sie ihr glaubt, kann sie vor dem Einschlafen, wenn sie alle guten Dinge aufzählt, die es gibt, an das Armband oder den Ring denken, die Jona morgen bringen wird. Vielleicht. Aber eine winzige Stimme im Innern fragt schon, noch vor dem Einschlafen: Und was ist, wenn sie es nicht tut? Und wenn sie ihr antwortet: Aber Jona hat es versprochen!, lacht die Stimme. Das ist die Stimme der schlimmen Dinge. Und die schlimmen Dinge muß man schnell von sich weisen, denn sonst muß man die Augen fest zupressen, um einzuschlafen, und dann kommen die Tiger. Manchmal verwandeln sie sich später in Löwen, wenn das Schwarz und das Rot zu Gelbgold werden. So ist es, wenn man die Augen fest zupreßt. Und wenn sie weint, steht ihr Vater in der Tür, und wenn sie dann sagt: Es gibt hier Tiger, macht er das Licht an: Siehst du, es sind keine da. Und Bären, jammert sie. Aber es gibt keine, sagt er. Wo sollen sie denn sein? Du siehst doch, daß es keine gibt. Und sie sieht es. Jetzt sind wirklich keine da. Und man darf nicht denken, daß Jona es nur so dahingesagt hat. Aber was bedeutet es, wenn sie es verspricht und doch nichts mitbringt? Sie hat überhaupt keinen Treffpunkt mit ihr ausgemacht. Und es ist wichtiger zu denken, daß ihr gutes Lächeln ernst gemeint ist. Sie hat ein gutes Lächeln. Jona liebt Kinder. Bestimmt besitzt sie einen wertvollen Schatz. Dieser Mann in dem schwarzen Anzug und mit dem weißen Bart sieht sehr bedeutend aus. Salman Schne’ur ist ein komischer Name. Man darf ihnen auf keinen Fall etwas von Jona erzählen, dann würden sie schimpfen.
Einmal hat sie gesagt: Ich werde einen Ring haben, mit einem honigfarbenen Stein und mit Gold und Silber. Und eine Kette wie der Ring, und vielleicht ein Armband. Von Ohrringen, die so schwer sind, daß sie das Ohrläppchen nach unten ziehen, so wie Léopold sie bei den Negern am Lagerfeuer gesehen hat, hat sie nichts erzählt.
So? hat ihre Mutter gefragt. Wer wird dir die Dinge denn geben?
Jona wird sie mir geben, sie hat es versprochen.
Ach, kam die Stimme der Mutter vom Spülbecken herüber, du glaubst auch jedem.
So was läßt sich leicht sagen. Jona lügt nicht. Es lohnt sich nicht, ihnen etwas zu verraten. Wenn sie ein Buch hat, muß sie nichts sagen. Vor allem, wenn in diesem Buch ein Fremder ist, der hinter den Büschen singt, ein König und frei. Er zertritt die Blumen, die Léopold für Maria in die Hütte gebracht hat. Er ist Sklave und König, frei und schwarz. Sie hat es gleich gewußt. Jemand wie er kann nur vorläufig Sklave sein. Es gibt viele Dinge, die nur vorläufig sind. Wenn man sich im Bett sitzend vorbeugt und die Hände seitlich an die Brust preßt, kann man tun, als brauche man schon einen Büstenhalter. Vorläufig braucht sie noch keinen, aber vielleicht wird sich das ändern. Der Tag wird kommen, an dem der Sklave zurückkehrt und König wird. Léopold will sterben, weil Maria gestorben ist. Aber wie konnte sie sterben, wenn der Neger Pierrot sie auf den Armen aus dem brennenden Landsitz getragen hat? Wenn ein Brand ausbräche, wäre sie stark genug, das Baby aus seinem Bett zu holen. Ganz einfach: Man drückt auf die Feder, dann geht das Gitter runter, und man kann das Kind herausnehmen. Und wenn die Zeit nicht reicht? Es ist besser, das Gitter schon jetzt herunterzulassen, um Zeit zu sparen. Warum glaubt Léopold Pierrot nicht? Sie hätte ihm geglaubt. Sie liest im Stehen, neben
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