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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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heißen?«
    »Ich werde nicht zulassen, daß ihr Leben … Daß man sie den Hunden vorwirft.«
    »Niemand wird sie irgendwohin werfen«, entschied Margaliot. »Sie wissen genau, daß diese Leute so etwas nicht tun. Man wird sie mit einem Witwer mit fünf Kindern verheiraten, sie wird die Kinder aufziehen, und damit ist alles in Ordnung. Schließlich steht ein Jude für den anderen ein.«
    »Sie ist intelligent, sie muß nicht so leben … Sie kann … sie kann ihre Persönlichkeit entwickeln … sie kann …« Sie merkte selbst, wie unvernünftig sich das anhörte.
    Margaliot hob den Kopf, aber sein Körper entspannte sich. Er hatte die Ellenbogen auf dem breiten Schreibtisch aufgestützt. »Was bringt Ihnen das? Was haben Sie davon?« fragte er im Ton eines Predigers. Wie ein Lehrer, der das destruktive Verhalten eines Schülers zu verstehen sucht. »Was bringt Ihnen das, außer Ärger?«
    Jo’ela zuckte mit den Schultern.
    »Sogar wenn Sie behaupten, Ihr Interesse an dem Mädchen stehe im Zusammenhang mit Ihrer Abhandlung und dem Vortrag, den Sie im Herbst halten werden, sogar wenn Sie sagen, daß Sie das für eine Professur brauchen, nehme ich es Ihnen nicht ab.« Er blickte sie an. »Denn das ist … es hört sich an wie ein Vorwand für etwas anderes. Wie bei einem Künstler, der behauptet, er arbeite nur fürs Geld.«
    Jo’ela schwieg.
    »Und?« fragte er ungeduldig. »Haben Sie nichts dazu zu sagen?«
    Sein Blick ließ sie nicht los. In seinen Augen lag Neugier, aber auch Mißtrauen, fast Sorge, ein bedeutungsvoller Blick, als erinnere er sich an etwas fast Vergessenes. »Hier geht es um etwas ganz anderes.«
    Jo’ela hüstelte, er wartete ein paar Sekunden. »Schauen Sie, es ist vielleicht nicht ungefährlich, aber wir stehen uns nahe genug, daß ich Ihnen etwas sagen kann. Etwas Persönliches. Wollen Sie es hören?«
    Jo’ela nickte, aber irgend etwas stieg aus ihrem Bauch hoch. Er würde sie fortschicken, aus der Station, aus der Klinik, aus der Welt, weg von sich selbst. Doch als er anfing zu sprechen, zögernd, als hole er die Worte tief aus sich heraus, und als sich erwies, daß ihre Annahme falsch gewesen war, wuchs ihr Erschrecken, und die Angst machte sie unfähig, wirklich zu verstehen, was er sagte. Mit einer weichen Stimme und gesenkten Augen, als spreche er zu sich selbst, erklärte Margaliot, daß irgendwann im Leben eines jeden Arztes – »wenn er ein ernsthafter Mensch ist, meine ich« – der Patient auftauche, von dem er nicht mehr loskomme, der immer irgendwo warte. »Er stürzt sich auf eine Lücke«, versuchte er zu verdeutlichen, »auf einen innerlichen Freiraum, ich weiß es nicht.« Er sprach ausführlich davon, daß dieses Phänomen nur selten auftrete, manchmal nur einmal im Leben, manchmal alle zehn Jahre, alle fünf Jahre, das sei individuell verschieden. Jedenfalls zeige man dann – gegen alle Vernunft, aber vielleicht in Übereinstimmung mit der momentanen eigenen Lebenssituation oder einem bestimmten Problem – ein irrationales Verhalten, für das es keine reale Erklärung gebe. »Ich habe nicht vor, mich darauf einzulassen«, drohte er nicht ohne Pathos, »vor allem jetzt nicht, wo Sie Ihre Professur fast geschafft haben und ich große Pläne mit Ihnen habe.«
    Sie ließ die Arme hängen.
    »Sie wissen, daß mir nicht mehr viele Jahre hier bleiben.« Er seufzte. »Man muß sich jetzt schon um die Zukunft kümmern. Ich spreche mit Ihnen über das Erbe, Jo’ela.« Er verzog die Lippen zu einer Art Lächeln. »Drei Jahre sind auf unserem Gebiet keine Ewigkeit. Wenn ich Sie auf die Aufgabe vorbereiten soll, Jo’ela, müssen Sie sich solche Spinnereien aus dem Kopf schlagen. Was haben Sie mit diesem Mädchen zu tun? Sie ist den Preis nicht wert.« Seine Stimme kam und ging. »Was ist es, was Ihnen keine Ruhe läßt?«
    Sie wollte es in Worte fassen, aber es gelang ihr nicht, obwohl in seiner Stimme eine seltene, nachdenkliche Zustimmung schwang, ohne die übliche Ironie. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Hatte sie daran gedacht, Säure in die Reagenzgläser zu tun? Hatte sie wirklich die Zusätze in die Spalten des Heftes eingetragen, das die Laborantin vorbereitet hatte, oder hatte sie es nur vorgehabt? Wo hatte sie eigentlich ihr Auto geparkt? Was hatte sie mit Ja’ara ausgemacht, wie sie nach ihrer Arbeitsgemeinschaft nach Hause kam? Und wie würde ihre Mutter auf die Vorstellung reagieren, daß sie vielleicht wirklich einmal die Station leitete? Mit einem Blick

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