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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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voller Stolz, aber auch voller Mißtrauen und Schrecken. Und Arnon? Doch Margaliot sprach noch immer über das Mädchen. »Wir klammern uns an solche Patienten, beobachten etwas, das wir bei uns selbst nicht bereit sind zu sehen … Der Nächste ist so oft eine Art Spiegel … Die Leute reagieren auf die Hoffnungen, die wir ihnen machen, und richten sich danach.«
    Was geschah hier? Diente sie ihm in diesem Moment vielleicht als willkommene Zeugin für Überlegungen, die man von einem Mann seines Alters erwarten konnte? Oder wurde er langsam zu einem unverbesserlichen Schwätzer? Was hatte sie zu erwarten, wenn das so weiterging? Mußte sie ihn schützen, ihn decken, ihm helfen?
    Dann erklärte er, sie sei es selbst gewesen, die ihn dazu gebracht habe, beharrlicher, als es sonst seine Art sei, über sie nachzudenken, »statt die Sache ins Lächerliche zu ziehen, wie immer«. Und als sie erstaunt die Augenbrauen hochzog, nickte er und meinte: »Warum sind Sie so verwundert? Wir teilen schließlich den-jenigen, die uns kennen, über unbewußte Warnzeichen mit, wie es um uns steht.«
    »Das ist doch nur Gerede«, wehrte sie ab. »Warum geben Sie nicht zu, daß der Fall interessant ist, einfach interessant? Sehen Sie das nicht? Und daß es schade um das Mädchen ist?«
    Aus dem Flur war das Klappern von Geschirr zu hören. Er warf einen Blick auf die globusförmige Uhr auf seinem Schreibtisch, fuhr mit dem Finger über die eingeprägten Goldbuchstaben und murmelte: »Viertel vor fünf, und da sollen die Leute schon zu Abend essen. Aber bin ich etwa Gott, daß ich auch Macht über die Küche habe? Wie oft habe ich ihnen schon gesagt, daß … Na ja.« Er drehte die silberne Halterung, in der die Erdkugel mit der Uhr befestigt war, und fragte: »Geht es Ja’ara gut?«
    Sie reagierte gespannt. »Ja, warum?«
    »Wie alt ist sie jetzt? Dreizehn?«
    »Vierzehneinhalb«, antwortete Jo’ela erstaunt.
    »Nein, wirklich? Ist ihre Entwicklung in Ordnung?«
    »Vollkommen in Ordnung«, sagte Jo’ela und lächelte.
    »Und Ne’ama? Wann geht sie zum Militär?«
    »In einem halben Jahr, sie ist jetzt in der Abschlußklasse, mit allen Prüfungen …« Plötzlich, nachdem sie schon gelächelt hatte, platzte sie heraus: »Wenn Sie glauben, daß das mit meinen Töchtern zusammenhängt …«
    »Ich habe nur gefragt«, meinte Margaliot und hob die Hände, wie um sein Gesicht vor einem plötzlichen Schlag zu schützen. »Darf ich mich nicht für Kinder interessieren, die ich seit ihrer Geburt kenne?«
    »Doch, doch«, sagte Jo’ela. »Natürlich dürfen Sie das. Sie könnten jetzt noch fragen, ob es Arnon gut geht: Es geht ihm gut. Und ob es uns miteinander gut geht: Ja, prima. Wie immer. Keine Probleme. Und was machen Sie jetzt?«
    »Ich sage Ihnen etwas, Jo’ela«, sagte er langsam, mit einer Geduld, wie sie sich Erwachsene auferlegen, wenn sie mit dickköpfigen Kindern sprechen, »da draußen, im Flur, sitzt jetzt die Patientin, die Sie kennen, die wir beide kennen, die schon seit vier Jahren versucht, schwanger zu werden, und wir sitzen hier, ganz ruhig, und haben es überhaupt nicht eilig. Für sie können wir wirklich etwas tun. Hier, fühlen Sie …« Er hielt ihr die Hand hin und deutete auf das Gelenk, unterhalb des Uhrenarmbandes. »Hier, fühlen Sie meinen Puls, ganz normal. Schade, daß ich Ihren Puls nicht gefühlt habe, als sie vorhin vom Labor zurückgekommen sind.« Jo’ela schwieg. »Was versuche ich, Ihnen zu sagen? Wegen dieser Frau da draußen, der ich helfen kann, rege ich mich nicht auf. Aber einmal, vor Jahren, ich glaube, ich war noch verheiratet, oder gegen Ende der Ehe, die Kinder waren jedenfalls schon da, vielleicht war ich sogar so alt, wie Sie jetzt sind, aber noch bevor ich die Berufung zum Chefarzt bekam, egal, es war jedenfalls nicht einfach damals, kam ein junger Mann wegen Impotenz zu mir – heute kann ich es sagen, wegen des Abstands von vielen Jahren, denn wenn man die Sechzig überschritten hat, kann man über solche Dinge und überhaupt über eigene Schwächen sprechen.« Margaliot betrachtete seine Hände und entfernte ein Stück unsichtbare Haut von der Kuppe seines Mittelfingers. Jo’ela horchte auf seine schweren Atemzüge und preßte die Füße fest gegen die hölzernen Tischbeine. »Eine chronische Impotenz, für die es keine physischen Ursachen gab«, klang die ruhige, nachdenkliche Stimme durch den Raum. »Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Stunden ich auf das Problem verwendet

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