Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
Sie müßte fragen, doch statt dessen erkundigte sie sich, welche Filme er gemacht habe.
    »Mein letzter Film ist neulich erst gelaufen, er handelt von Menschen, die zur Religion zurückkehren. Er heißt ›Mosche Ben Baruch‹.«
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte sie erstaunt. »Ich glaube, ich habe ihn gesehen. Über einen jungen Mann ohne Hand? Nach dem Krieg?«
    Er nickte.
    »Ich erinnere mich an ihn. Er war wirklich schön.«
    »Ja. Ich glaube, er war ein Erfolg.«
    »Wie heißen Sie?« fragte sie entschuldigend. »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Jo’el.«
    Sie blinzelte, aber es kam keine Reaktion. »Und jetzt wollen Sie einen Film über die gynäkologische Abteilung machen?«
    »Ich möchte einen Film über eine Geburt machen.«
    »Eine Geburt? Das gibt es doch schon. Geburten sind bestimmt millionenmal gefilmt worden. Wissen Sie überhaupt, wie viele Ehemänner heute mit einer Videokamera in den Kreißsaal kommen? Jeder filmt die Geburt.«
    »Na und? Auch den Sonnenuntergang hat man schon tausendmal gefilmt. Es kommt darauf an, wie. Auf den Blickwinkel.«
    »Was heißt da Blickwinkel? Gibt es etwa Drehbücher für Dokumentarfilme?«
    »Es gibt alles, es gibt ein Drehbuch und einen künstlerischen Leiter und einen Regisseur. Aber diesen Film möchte ich ganz allein machen.«
    »Wie kann man bei einem Dokumentarfilm Regie führen? Es soll doch …«
    Die Autoschlange bewegte sich vorwärts, an einem Polizisten vorbei, der mit nervösen Bewegungen den Verkehr dirigierte. Der Mann neben ihr löste die Handbremse. Als sie den Polizisten erreicht hatten, streckte er den Kopf aus dem Fenster und fragte: »Was ist passiert?« Aber der Polizist warf ihm einen gleichgültigen Blick zu und winkte ihn weiter. Aus dieser Entfernung sah man schon das zerdrückte, auf dem Dach liegende Auto, die zerbrochenen Fenster, die abgerissene Tür und einen davonfahrenden Krankenwagen. Um einen Lastwagen standen Leute mit ernsten Gesichtern.
    »Ich möchte einen Film über eine Frau drehen, vom Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt, über eine alleinstehende Frau oder so, eine ältere Frau, die ein Risiko eingeht.«
    »An der Ampel geht es nach rechts.«
    »Ich weiß. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Straße kenne.« Er bog nach rechts ab.
    »Er wird so etwas nicht erlauben.«
    »Warum meinen Sie das?« fragte er unbekümmert.
    »Weil es uns und ihm nur um das gute Funktionieren der Abteilung geht. Man kümmert sich um die Patientinnen, nicht um die Werbung.«
    »Er wird seine Zustimmung geben.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ja, ich kenne ihn.«
    »Warum haben Sie sich dann nicht an ihn gewandt? Warum haben Sie nicht angerufen? Warum … warum haben Sie nicht offen mit ihm gesprochen?«
    »Das werde ich schon noch tun. Aber ich möchte, daß ein Teil des Films auch von den Leuten handelt, die dort arbeiten … Hebammen, das ist optimal für mich.« Er bog in die steile Straße ein. »Aber ich werde ohnehin in einem anderen Krankenhaus anfangen, nicht hier. Wo ist Ihr Haus?«
    »Egal, ich kann hier aussteigen.« Sie folgte seinem Blick, der zwischen den steinernen Festungen auf beiden Seiten der Straße hin- und herwanderte, ein Zaun am anderen, und schließlich an dem runden Gebäude hängenblieb, dessen große Fenster von einer Reihe roter, verzierter Steine umgeben waren. »Hier wohnen Sie?«
    Sie verzog das Gesicht. »Nein. Im letzten, auf der rechten Seite.«
    Beide schauten zu dem viereckigen Haus mit dem Ziegeldach hinüber. »Ihr Haus paßt nicht in diese Straße«, entschied er ohne Staunen. »Es sieht aus, wie die Häuser der ersten Siedler früher ausgesehen haben. Nicht wie die Burgen Ihrer Nachbarn.«
    »Warum haben Sie geglaubt, es wäre dieses da?«
    »Einfach so. Ich habe gedacht, daß Sie so ordentlich sind, aus einer ordentlichen Familie, verheiratet, sagen wir mal, mit einem Arzt. Ein Arzt und eine Schwester.«
    »Na und? Wohnen Sie etwa in einer Baracke?«
    Eigentlich müßte sie schnell aussteigen. Aber sie blieb sitzen und betrachtete ihr Gegenüber. Wenn er seine Hand auf ihre Schulter gelegt hätte, wäre alles zerstört. Denn die Übergänge geschehen immer auf grobe Art und legen eigentlich die Fremdheit bloß, die von den Stimmen verborgen wird.
    Das Schweigen, das sich ausbreitete nach der Anstrengung, das zu verdecken, was nicht gesagt wurde – und bei beiden war das, was nicht gesagt wurde, etwas ganz Verschiedenes –, würde aufhören … wenn sie … wenn sie den Kopf senken würde. Wenn

Weitere Kostenlose Bücher