So habe ich es mir nicht vorgestellt
jemand ihren Kopf in die Höhlung zwischen Schulter und Hals legen würde, unterhalb des Haaransatzes. Wenn er sie an sich ziehen würde, in den Arm nähme. Die Sperre durch den Schalthebel. Wenn er sich jetzt zu ihr neigen würde. Wie bewerkstelligen die Menschen den Übergang von völliger Fremdheit zur Intimität? Nun sprach er. Sie lauschte dem Klang der Worte und betrachtete ihn, während er redete. Hätte sich dieser lächelnde Mund jetzt nah zu ihr gebeugt, hätte es sie gequält. Seine Stimme, weich, tief und warm, gefiel ihr.
»Vielleicht, weil ich kein Kind gebären kann«, sagte er lächelnd. Schon einige Sätze lang sprach er über diesen Film, und sie hatte es nicht gehört. »… als eine Art Entschädigung.«
»Wirklich? So einfach?« Sie hörte ihre Stimme, nüchtern und vernünftig. »Es ist ein großer Unterschied, ob man einen Film über etwas macht oder ob man die Sache erlebt.« Ein Zittern lief durch ihre Beinmuskeln. Als habe jemand einen Taschenspiegel auf sie gerichtet, huschte ein kleines, blendendes Quadrat über ihre Augen, und sie lächelte erstaunt. Der Gedanke an das, was möglich gewesen wäre, wenn sie nicht im Auto säßen, sondern irgendwo anders, weit weg von ihrem Haus. Vielleicht. Vielleicht wäre die quälende Last plötzlich verschwunden. Vielleicht wäre am nächsten Morgen dann alles anders. Und die Farben, mit denen Hila hartnäckig die Welt malte, diese Farben der Leidenschaft. Und das Leuchten, von dem sie immer sprach, das Leuchten des Körpers und der Seele, und die Freude. Unsinn. Denn wo, zum Beispiel, war Hilas Freude? Beide schwiegen. Sie mußte sofort aussteigen. Aber seine gelassene Haltung wies nicht darauf hin, daß er das wollte. Sie legte die Hand auf den Türgriff und zog daran. Die Tür bewegte sich nicht.
»Der Griff ist kaputt. Ich muß Ihnen von außen aufmachen.«
Völlig entspannt wartete sie, daß er ausstieg. Aber er blieb sitzen.
»Sind Sie schon viele Jahre verheiratet?«
»Einundzwanzig«, antwortete sie. Ihr Herz klopfte heftig.
»Kinder?«
»Drei.«
»Gut?«
»Die Kinder? Sie sind wunderbar.«
»Nein, ich meine die Ehe.«
»Sehr gut«, sagte sie in trockenem Ton. »Warum?«
»Einfach so. Um es zu wissen.«
»Sie fragen Frauen einfach so, ob ihre Ehe gut ist?«
»Warum nicht?«
»Die Frage ist nicht immer: warum nicht, manchmal sollte man auch fragen: warum ja.«
»Einfach aus Neugier. Interessieren Sie sich nicht für Menschen? Würden Sie nicht alles wissen wollen?«
»Ich weiß es nicht. Manchmal.«
»Ich bin sehr neugierig, ich will Bescheid wissen. Über die Leute. Und überhaupt.«
»Das kann manchmal gefährlich sein.«
»Ja? Warum?« Seine Augen wurden rund.
»Weil man nicht weiß, was man erfahren wird und was man dann mit diesem Wissen anfängt.«
»Zum Beispiel?«
»Das weiß ich jetzt nicht genau, aber wenn Sie Leute Dinge fragen und sie Ihnen antworten und sich dann herausstellt, daß Sie mit diesem Wissen nicht umgehen können, daß Sie etwas tun müßten, was Sie nicht tun können, und Sie dann damit sitzenbleiben, nur mit dem Wissen, daß Sie etwas tun müßten … so etwa.«
»Was ist das Leben wert, wenn man sich nie in Gefahr begibt?«
»Es ist ein Unterschied zwischen nie und manchmal.« Sie zog an dem Haarbüschel, das ihr in die Stirn hing.
Wenn Hila behauptete, sie hätte den richtigen Moment verpaßt, würde sie ihr wieder antworten, daß die Leute den Sex hochspielen. Daß sie sich ohne Über-legung in Abenteuer stürzen.
»Ich muß gehen, zu Hause warten sie auf mich.«
»Schade«, sagte der Mann und spannte sich. »Es ist wirklich nett, mit Ihnen zu sprechen.«
»Vielleicht wollen Sie noch auf eine Tasse Kaffee mit hereinkommen? Immerhin habe ich Ihnen etwas getan …«
Der Mann warf einen Blick auf seine Uhr. »Ein andermal, falls wir uns wieder treffen.« Er schaute sie an. »Ich bin sicher, daß wir uns wieder treffen«, sagte er, »und ich freue mich schon sehr darauf.«
Sie lächelte. »Aber nicht im Auto.«
Er lachte, stieg aus, ging um das Auto herum und machte mit viel Kraft die Tür auf. Sie zog die Tasche von hinten heraus. Er blickte auf ihre Hände, die die Tasche umklammerten, zögerte und berührte dann zum Abschied ihren Arm.
Hila sagte immer, ihre Ernsthaftigkeit, ihr völliger Mangel an Leichtsinn überdeckten jeden anderen Ausdruck ihres Gesichts. Jetzt würde er gehen, und das war’s. Aber vor einer Minute hatte sie selbst gewollt, daß er ihr die Tür aufmachte.
Sie
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