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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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falsch gemacht? Statt dessen seufzte sie tief. Ich muß unterwegs am Lebensmittelgeschäft anhalten und wenigstens Milch kaufen, aber vielleicht hat Arnon schon gesehen, daß keine mehr da ist. Diese Hände liegen so ruhig auf dem Lenkrad, so sicher, ein kleiner Muskel zuckt unter der Haut seiner Wange, die Sonne geht lange unter, sehr langsam, wie in den Bergen, verengte seine Pupillen und beleuchtete ein Netz feiner Fältchen um seine Augen und verlieh ihnen einen sehnsüchtigen Glanz. Nun zog er kräftig an der Handbremse, nahm den Fuß vom Bremspedal und streckte das Bein zur Seite, da, wo sich kein Pedal befand – und wartete offensichtlich darauf, daß sie etwas sagte. Sie schwieg. Alles, was sie sagen könnte, wäre nicht richtig. Wenn sie zum Beispiel jetzt anbieten würde, auszusteigen und zu Fuß heimzugehen, weil es schade wäre um seine Zeit, dann wäre das kein echtes Angebot. Denn auch hinter ihnen erstreckte sich eine Autoschlange. Er war ebenso gefangen wie sie. Es war sinnlos, ein Wort darüber zu verlieren. Würde sie über ihr schlechtes Gewissen sprechen, weil er ihretwegen im Stau festsaß, nachdem sie ihm schon den Scheinwerfer zerbrochen hatte, dann wäre das Manipulation, weil er das Gefühl bekäme, die Mühe abstreiten zu müssen, nur um ihre Schuldgefühle zu zerstreuen. Sie wünschte sich, er möge mit seiner Stimme das Echo des scheppernden Blechs übertönen. Doch auch darüber lohnte es sich nicht zu sprechen, denn er hatte sie bereits darauf hingewiesen, daß sie den Sinn für Proportionen wiedererlangen müsse. Es wäre ganz schön, wenn er ihr versichern würde, daß er sich nicht über sie ärgerte, aber sie merkte ja selbst, daß das nicht der Fall war. Was angebracht war, was wirklich passen würde, waren Floskeln. Eine höfliche, empathische Frage, ob er es eilig habe. Doch auch das war riskant, weil er zu freundlich war. Etwas an seinem weichen, warmen Blick und an seiner offen gezeigten Lebensfreude, dieser schnellen Neugier, nahm sie für ihn ein. Aber was sollten diese inneren Kämpfe, der Mann war überhaupt nicht wichtig. Man sagt was, und damit hat sich’s. »Ich habe Ihnen den Tag versaut«, sagte sie schließlich.
    »Na ja, es ist halt passiert«, sagte er fröhlich, und ihr sank das Herz.
    »Es tut mir wirklich leid, Sie hätten mich nicht …«
    »Für mich ist die Zeit im Moment kein Problem. Bei Ihnen, scheint mir, ist das anders.«
    »Es ist wegen des Staus. Es kann passieren, daß man hier eine ganze Stunde stehn …«
    »Müssen Sie dringend wohin?«
    »Auch wenn das so wäre, es hat nichts damit zu tun, ob ich es eilig habe oder nicht. Es ist etwas Biologisches, eine Art Allergie gegen Staus.«
    »Sie sind jetzt wirklich noch blasser«, sagte er und betrachtete sie besorgt. Dann schaute er hinaus, auf die Autos, die auf beiden Fahrbahnen standen, und lachte. »Wenn ich heute nicht schon in einen Unfall verwickelt gewesen wäre und wenn es hier nicht so viele Polizeiautos auf der Straße gäbe, hätte ich uns schon längst hier hinausbugsiert.«
    Sie atmete angestrengt.
    »Möchten Sie aussteigen? Sollen wir uns draußen hinstellen?« schlug er freundlich vor, und als sie nickte, ergriff er ihr Handgelenk, legte einen Finger auf den Puls, blickte auf seine Uhr und sagte: »Hundertdreißig, ist das normal bei Ihnen?«
    »Nein, aber heute … und dann auch noch das. Ich habe immer physische Symptome in einem Verkehrsstau. Gleich fange ich an zu schwitzen.« Seit wann erklärte sie fremden Menschen solche Dinge? »Vermutlich gibt es auch eine Grenze für richtiges Funktionieren.«
    »Es gibt keine Grenze, wie sich herausstellt«, sagte er heiter, nahm ihr den braunen Umschlag aus der Hand und legte ihn auf den Rücksitz. »Geben Sie mir diese Tasche«, befahl er. »Es wird ihr nichts passieren, und Sie können sich bequemer hinsetzen.«
    Sie hob die schwarze Tasche hoch und hörte, wie er sie zwischen den Vorder- und den Rücksitz schob. Dann beugte er sich nach hinten, hielt ihr eine Flasche Wasser hin und befahl: »Trinken Sie jetzt drei Schlucke!«
    Sie nahm einen Schluck. »Mehr!« sagte er.
    »Es geht nicht, ich kann nicht schlucken.«
    »Atmen Sie ganz tief. Das ist nur Panik, es geht gleich vorbei, wenn Sie tief atmen, und dann können Sie sprechen.«
    Nachdem sie noch zwei Schlucke genommen hatte, sagte er: »Und jetzt tief und langsam atmen. Und jetzt sprechen Sie.«
    Aber sie konnte nur zweimal aufstoßen, sonst bekam sie keinen Ton heraus.
    »Los, sagen

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