So habe ich es mir nicht vorgestellt
beobachtete ihn, wie er ins Auto stieg und die Tür hinter sich zuwarf, wie er rückwärts wendete und die Straße hinunterfuhr. Plötzlich hielt er an, schaute zu ihr zurück, schob den Kopf durch das Fenster und rief: »Ich verzichte auch auf den Scheinwerfer.«
Erst als sie seine Rücklichter sah, wunderte sie sich über den Zusatz »auch«. Schwerfällig, mit langsamen Schritten ging sie weiter die Straße hinauf.
Du Dummkopf, hörte sie bei jedem Schritt Hilas Stimme, da hast du es doch endlich fast mal geschafft.
Wirklich? Angenommen, ich hätte, wir hätten, angenommen. Wozu? Wohin würde das führen? Solche Sachen sind doch entweder unbedeutend – oder gefährlich; klar, daß es irgend jemandem einen Schmerz zufügen würde, zumindest einem, einfach Schmerz und Trauer und Zerstörung. Wer ist hier der Dummkopf?
Wie sind wir jetzt schon zum Aufbauen und Zerstören gekommen? fragte Hila erstaunt. Mußt du alles schon im voraus wissen? Führt denn immer alles zu bestimmten Ergebnissen?
Sie hätte die rauhe Haut berühren können, das zarte Kratzen seiner Bartstoppeln auf ihrer Wange spüren, das seltsame Vergnügen durch das Streicheln von entschlossenen Händen, den Schmerz, den die plötzliche Bewegung des Halses verursacht, die vollkommene Hingabe seiner Lippen. Von ihr aus. Sie riß sich zusammen, griff nach der Klinke, trat in den Garten, schloß das knarrende Tor hinter sich und bewegte sich mit großer innerer Anstrengung langsam, langsam weiter. Sexualität, sonst nichts, erklärte sie Hila, als sie auf der Schwelle stand, Hormone. Vielleicht auch zu viele Liebesfilme.
Was sie nicht erklären konnte, war das klare Bild, die Erinnerung an den Geruch – Babyseife und Wäschestärke – und die Sicherheit, daß es mehr geben würde. Beim nächsten Mal oder beim übernächsten. Und daß es zu spät war, nicht daran zu denken. Das hätte früher passieren müssen. Aber an welcher Stelle? Wie konnte man den Zeitpunkt bestimmen? War es der Moment, als sie sich vor dem Losfahren nicht umgeschaut hatte? Oder als sie zustimmte, zu ihm ins Auto zu steigen? Wenn sie gesagt hätte, daß sie Ärztin war. Aber sie hatte es nicht gesagt, damit er nicht zögerte. Damit. Vielleicht ist der Moment der, in dem man anfängt zu lügen? Als sie an der Haustür stand, nickte sie sich selbst zu, so wie Frau Sakowitz es getan hatte, die Nachbarin in dem Haus, in dem ihre Mutter lebte, wenn sie sie mal in den frühen Morgenstunden im Aufzug getroffen hatte.
Arnon saß im Sessel unter der Lampe und hob den Kopf von Ja’irs Haaren, der sich mit offenem Mund im Fernsehen Atrejus’Ritt auf dem fliegenden Drachen Fuchur ansah. Neben Arnon lag ein Stapel Papiere, auf die er seine Lesebrille legte. Ohne von seinem Platz aufzustehen, hob er den Jungen hoch und setzte ihn auf den Boden. »Die Station hat dich gesucht, ich habe probiert, dich über das Gerät zu erreichen. Deine Mutter hat angerufen, und Hila sucht dich. Ist was passiert? Wo warst du?«
In dem gelben, weichen Licht glänzten ein paar graue Haare auf seinem Kopf. Ihr fiel auf, daß es mehr geworden waren. Er massierte sich das Gesicht, spannte die Wangen.
»Ich habe das Auto kaputtgefahren«, sagte Jo’ela.
Seine Augen wurden schmal.
»Mir ist nichts passiert und auch dem anderen Fahrer nicht, bei ihm ist nur ein Scheinwerfer kaputt, und bei uns ist der linke hintere Kotflügel eingedrückt. Bevor das Blech nicht ausgebeult ist, kann man nicht fahren.«
»Gut, das kann passieren, das kann jedem mal passieren«, meinte er, während er seine Hausschuhe unter dem Sessel hervorholte.
Wäre er aufgestanden, um sie zu umarmen, wäre vielleicht etwas in ihr geschmolzen, und ihr schnelles Atmen hätte sich beruhigt. Aber er zog die Hausschuhe an, ohne aufzustehen. Man konnte unter der Kugel aus gelbem, weichem Licht die Konturen des Sessels kaum von dem Teppich unterscheiden, auf dem er stand, ebensowenig wie den Stapel Papiere, Bankauszüge, wie sie bemerkte, oder irgend etwas anderes. Sie zum Beispiel.
»Hast du heute etwas gegessen?« fragte Arnon und legte die Hände auf die Sessellehne, wie jemand, der vorhat aufzustehen. »Ich versuche nur, die Rechnungen zu ordnen, weil ich morgen sehr früh weg muß. Möchtest du Suppe oder Tee? Es ist ziemlich kühl draußen, du siehst erledigt aus.«
»Ich mache mir was«, beruhigte ihn Jo’ela. »Kein Problem.«
»Ich muß dir etwas sagen, gut, nicht so wichtig, ein andermal …«
»Nein, nein, sag’s
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