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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gleich.«
    »In gewisser Weise«, er dehnte die Wörter und blickte sie zögernd an, nahm die Haltung ein, die zu erwarten gewesen war, »freue ich mich sogar, nein, ich freue mich nicht wirklich, ich bin zufrieden, daß du dieses Gefühl nun kennst und nicht mehr zu mir sagen kannst, daß so etwas nicht einfach so passiert. Erinnerst du dich?«
    Sie nickte.
    »Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen, aber dir fehlt nichts, deshalb habe ich gedacht …«
    »Gut, es ist nichts passiert, aber trotzdem …« Sie stellte ihre schwarze Tasche neben sich und starrte auf die Wand gegenüber.
    »Ich habe gefragt, ob ich dir Suppe aufwärmen oder eine Tasse Tee machen soll.«
    Ja’ir drehte den Kopf vom Bildschirm und blickte sie ängstlich an. Sie trat zu ihm, legte die Hand auf seinen Kopf. Er senkte ihn und rieb seine Wange an ihrer Hand, wie eine Katze, bevor er sich wieder dem Fernsehen zuwandte.
    In der Küche erblickte sie den kleinen Hintern Ja’aras, die sich in den offenen Kühlschrank beugte. Auf den Hosenbeinen ihrer Jeans waren Schlammflecken. Sie zog ihren Kopf aus dem Kühlschrank und schaute ihre Mutter schweigend an. Über der Jeans trug sie das rote Hemd, das Jo’ela vor den Feiertagen für Arnon gekauft hatte. Das Gesicht Marilyn Monroes, das sich über Arnons Brust gespannt hatte, war zusammengefallen und hing schlaff über Ja’aras schmalem Oberkörper. Die Wangen bewegten sich über Ja’aras kleinen Brüsten, und durch häufiges Waschen war das berühmte Lächeln verblaßt, die Wangenlinien waren verwischt und das naive Aufblitzen in ihren Augen glasig geworden. Ein schmaler Streifen Mondlicht fiel hinter dem Fenster über dem Spülbecken in die Dunkelheit.
    »Sagt man nicht guten Tag?« fragte Jo’ela, nahm zwei Plastikschalen mit Eisresten in Rosa und Gelb vom Tisch, stellte sie mit langsamen Bewegungen ins Spülbecken, griff nach dem zerknitterten, trockenen Lappen, machte ihn unter dem Wasserhahn naß und wischte die Ameisen weg, die um ein benutztes eisverschmiertes Löffelchen herumwimmelten.
    Ja’ara schüttelte den Kopf, warf eine lange Strähne ihrer hellen Locken von Marilyns Wange auf ihren Rücken, schloß die Kühlschranktür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen, einen Fuß im Turnschuh nach hinten gestellt.
    »Ich möchte gerne wissen«, hörte Jo’ela sich vorwurfsvoll sagen, »warum man die Teller stehenlassen muß und nicht abwaschen kann? Wartet man auf das Dienstmädchen oder was?« Das war es nicht, was sie hatte sagen wollen. Sie hatte vorgehabt zu lächeln, aber etwas an der provozierenden Haltung, an den Eistellern und der Ameisenstraße hatte ihren Wunsch erstickt, Ja’aras Wange zu berühren, nah bei ihr zu stehen, die Einsamkeit zu durchbrechen, die ihre Tochter durch ihre Haltung demonstrierte. Die Erkenntnis, daß die beiden Teller und das Löffelchen bedeutungslos waren, rückte in den Hintergrund. Und je länger sie am Tisch stand und Ameisen wegwischte, um so mehr wuchs ihr Zorn. Ihr war klar, daß die provozierende Haltung des Mädchens am Kühlschrank, die Art, wie sie den Rücken am Kühlschrank rieb, ihre langen Haare, die die Augen verbargen, Symptome waren.
    »Und ich möchte gerne wissen«, sagte Ja’ara und legte ihre Arme genau über das reizende Lächeln Marilyn Monroes, »wo dein Auto ist und wer dich bis unten an die Straße gebracht und dort abgesetzt hat. Und warum er dich, wenn schon, nicht bis vors Haus gefahren hat.«
    Jo’ela blickte durch das Fenster über dem Spülbecken die Straße hinunter, zu der Biegung, an der vorhin der graue Saab gestanden hatte. Auch bei Tageslicht, entschied sie, konnte man von hier aus nicht gesehen haben, was sich dort im Auto abgespielt hatte.
    »Hast du Hausaufgaben auf?«
    »Für morgen nicht.«
    »Hat Ne’ama nicht angerufen?«
    »Nein«, sagte Arnon, der nun in der Tür stand. »Aber es ist noch früh. Muß man das Auto abschleppen?«
    »Das hat Zeit bis morgen. Ich habe Kopfschmerzen.«
    »Deine Mutter hat angerufen.«
    »Ja, das hast du schon gesagt.«
    »Rufst du nicht zurück?«
    »Später.«
    »Später heißt morgen«, rief Ja’ir hinter Arnons Rücken. »Kann ich jetzt raus?«
    »Es ist schon dunkel, jetzt ist es zu spät.«
    »Mit Mamas Taschenlampe. Kann ich mit Mamas Taschenlampe raus?«
    »Laß Mama in Ruhe, sie ist müde.«
    »Was ist mit dem Auto?« fragte Ja’ara aus dem Kühlschrank, den sie wieder aufgemacht hatte.
    »Ein kleiner Unfall, nichts Ernstes«, meinte Arnon

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