So habe ich es mir nicht vorgestellt
schön, aber sie ist auch nur ein Mensch.
Na und? sagt das Mädchen zornig und weiß, daß die Sache schiefgeht, aber ein Rückzug ist schon nicht mehr möglich. Sie weiß, wenn sie hartnäckig so weitermacht, wird ihre Mutter Dinge sagen, die weh tun, doch sie kann nicht aufhören. Aber sie schmiert sich nichts ins Gesicht, sagt das Mädchen triumphierend, und das Herz ist ihr jetzt schon schwer.
Und ob sie das macht, murmelt die Mutter zerstreut und wischt sich ein bißchen rosafarbenen Lack von der Haut neben dem Fingernagel. Du kannst mir glauben, daß sie das tut.
Ein heißer Strom fließt vom Herzen des Mädchens in ihr Gesicht, und der Zorn läßt sich nicht mehr unterdrücken. Sie will nicht weinen, aber die Tränen der Wut steigen in ihr hoch. Sie schluckt sie hinunter und schweigt. Wieder hat sie sich nicht genug konzentriert, um zu sehen, wie es passiert ist, sie hat sogar vergessen, die Mutter zu bitten, ihr auch diesen rosafarbenen Lack auf die Nägel zu streichen, wenigstens auf den kleinen Finger, dessen Nagel bis zur Kuppe abgenagt ist.
Weißt du, fährt ihre Mutter fort und betrachtet prüfend ihre Hände, sie ißt auch manchmal, deine Lehrerin, und sie … Aber das Mädchen hört schon nicht mehr hin. Sie hält sich die Ohren zu und schließt die Augen. Das ist nicht wahr, schreit sie und ignoriert die Worte ihrer Mutter, das ist nicht wahr. Sie will nichts mehr hören, sie weiß, daß ihre Mutter jetzt über alle möglichen häßlichen Dinge spricht. »Toilette« ist das Wort, das sie hört, als sie die Hände von den Ohren nimmt. Die Augen der Mutter sind auf sie gerichtet. Einen Moment lang zeigt sie Erstaunen, vielleicht sogar Panik beim Anblick des schmerzverzerrten Gesichts ihrer Tochter. Doch sie dreht sich um, ohne den Versuch zu machen, sie zu verstehen, und wendet sich der Schublade mit dem Schmuck zu. Vorsichtig nimmt sie die Kette mit den blaugrünen Perlen heraus und legt sie sich um den Hals. Lichtflecken spielen funkelnd in den Steinen, von denen das Mädchen stur behauptet, es seien Smaragde, sogar als man ihr schon gesagt hat, sie seien aus Glas. Die Mutter greift nach hinten und hakt den Verschluß ein. Nun geht die Tür auf. Der Vater erscheint, schwer atmend, aber mit einem Lächeln. Erst küßt er den Nacken oberhalb der Perlen, dann hebt er das Mädchen hoch in die Luft. Aber auch als sie auf seinem Arm sitzt, seinen Schweiß riecht und seine stachelige Wange fühlt, spricht er mit der Mutter in ihrer Sprache. Schnell erzählt er Dinge, die das Mädchen kaum versteht, erwähnt Namen von Menschen und fragt, ob er sich umziehen soll. Das Mädchen ist vollkommen überflüssig.
Deine Tochter ist in ihre Lehrerin verliebt, kommt die Stimme der Mutter unter dem Kleid hervor, das sie sich gerade über den Kopf zieht, sehr vorsichtig, um ihre Frisur nicht durcheinanderzubringen. Der Klang der groben Worte hängt in der Luft. Vor dem Spiegel steht diese fremde, zurechtgemachte Frau. Wieder hat sich das Wunder ereignet, ohne daß das Mädchen verstanden hat, wie. Aber im Moment ist das nicht wichtig. Im Moment sind nur die Worte wichtig, die durch das Zimmer klingen. Ohne Angst spricht die Mutter die verbotenen Worte aus: Sie glaubt, ihre Lehrerin ist die Allerschönste.
Er lacht. Deine Mutter ist schöner, sagt er jetzt. Und man sieht ihm an, daß er es nicht so dahingesagt hat, er meint es wirklich. Man sieht es an seinen Augen, an dem glänzenden Braun. Und von dieser Frau, die dort vor dem Schrank steht, barfuß, kann man wirklich nicht sagen, sie sei nicht schön. Aber nur das Mädchen weiß, daß es keine echte Schönheit ist.
Sie hält ihre Lehrerin für einen Engel, dringt die ironische Stimme durch das Zimmer, von unten, vom Schuhfach, aus dem die Frau die schwarzen Schuhe mit den hohen, dünnen Absätzen hervorholt. Der Vater streichelt über die Wangen des Mädchens, und sie folgt ihm ins Badezimmer. Dort wird sie auf dem Wannenrand sitzen, den weißen Schaum auf seinen Wangen betrachten und zuschauen, wie das Messer die weiße Maske entfernt und die Gesichtshaut wieder zum Vorschein kommt. Er tippt ihr ein wenig Schaum auf die Nasenspitze und erklärt: Es reicht nicht, schön zu sein, man muß auch gut sein. Deine Mama ist nicht nur schön, sie ist auch gut wie ein Engel und – er macht eine Pause und spannt mit der Hand die Kinnhaut – klug.
Das Mädchen betrachtet ihn enttäuscht. Und von allem, was sie eigentlich sagen wollte – für das meiste gibt es ohnehin
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