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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gelbweiß karierten Kittel, der über der Türklinke hängt, sie betrachtet den Schwamm und die nackte Frau, deren Körper sie doch so gut kennt und der sie trotzdem jedesmal mit Verständnislosigkeit erfüllt. Sie kann ihn nicht wirklich betrachten, sooft sie ihn auch schon gesehen hat. Mit ihrem geistigen Auge sieht sie alles, aber sie geniert sich, wirklich das zu betrachten, was ihre Mutter hat und sie noch nicht. Sie möchte hinschauen, wagt es aber nicht. Es ist ihr unangenehm zu sehen, wie die Haken hinten geöffnet werden, und sogar der Anblick des Büstenhalters, den die Mutter gerade in das Waschbecken gelegt hat, verursacht ihr ein unangenehmes Gefühl – dabei hat sie ihn selbst schon oft genug anprobiert, abends, nachdem die Eltern weggegangen waren. Sie versucht, nur die Beine zu sehen. Ihre Mutter geniert sich überhaupt nicht. Vielleicht ist es ihr sogar angenehm, daß das Mädchen dasteht und ihr zuschaut. Sie verbirgt nichts, sie schließt nicht die Tür, und sie schickt das Mädchen auch nicht weg, um etwas aus einem anderen Zimmer zu holen oder um auf das Baby aufzupassen. Sie fährt sich mit dem Schwamm über das weiße, glatte Bein, das sie auf den Rand der Badewanne gestellt hat, und sieht aus, als genieße sie das sogar. Ihre Tochter soll ruhig sehen, was sie hat. Das Mädchen hat es noch nicht. Vielleicht wird sie es einmal haben. Verstohlen schaut sie zu dem Körper der Frau hinüber, die sich aufrichtet und einen Blick zum Fenster wirft, als entdecke sie dort etwas Interessantes und Wichtiges. Das Mädchen möchte nicht hinschauen. Es ist ihr peinlich, ein Gefühl, das sie nicht mag. Aber ihre Mutter fragt nun, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht hat, und weil sie angesprochen wird, muß sie zur Mutter hinschauen, schnell die Augen heben, damit sie gleich zum Gesicht kommt, ohne an den Dingen unterwegs hängenzubleiben. Und sie muß auch aufpassen, um nicht zu zeigen, wie unangenehm es ihr ist, damit ihre Mutter nicht wieder sagt, sie sei schließlich ihre Mutter, und vor seiner Mutter schämt man sich nicht . Sie wünscht, ihre Mutter würde sich hinter der geschlossenen Tür waschen, aber dann würde sie nie erfahren, wie sich das Wunder der Verwandlung zu einer richtigen Frau vollzieht. Rede mit mir, sagt die Mutter, erzähl mir was, aber sie hat nichts zu erzählen. Ihr Gehirn ist wie gelähmt und voller Dinge, die man nicht aussprechen darf. Sie geht sie blitzschnell durch, lehnt eines nach dem anderen ab. Am sichersten ist es, irgend etwas Dummes aus der Schule zu erzählen. Das mag die Mutter, und solche Dinge zeigen auch nichts von der Scham und der Wut, die langsam in dem Mädchen aufsteigt, ohne daß sie weiß, warum. Wenn sie schweigt, ist ihr anzumerken, daß sie sich unbehaglich fühlt, dann wird die Mutter wieder lächeln und sie fragen: Was ist los, hast du etwas angestellt? Was hast du getan und nicht gesagt? Und erklären, was es ist, das sie zum Schweigen bringt, kann sie nicht. Außerdem stimmt es ja, das ist ihre Mutter, und man muß sich nicht schämen, wenn man seine Mutter sieht. Sie fängt langsam und unwillig an, von der Schule zu erzählen. Unter dem kurzen Handtuch, das sich die Mutter um den Körper gewickelt hat, ist noch ein bißchen von ihrem Popo zu sehen. Nur – bei der Mutter ist das nicht eigentlich ein Popo. Das Wort paßt nicht. Das Mädchen wird rot. Die Mutter hat eine sehr weiße Haut, ganz glatt, ohne Beulen und blaue Flecken. Ihr Körper ist rund und weich. Nicht mager und hart. Bei ihr kann man nicht die Rippen zählen, und wenn sie den Büstenhalter anzieht, verschwindet alles und füllt den glänzenden Stoff aus, und die beiden leeren Stoffhüllen sind nicht mehr zu erkennen. Vielleicht ist das der ganze Zauber. Wenn die Mutter ihr den Rücken zudreht, kann sie schnell hinschauen, ohne daß sie es merkt. Es kann doch gar nicht sein, daß diese Dinge den Zauber ausmachen, sie waren ja auch vorhin unter dem karierten Kittel mit dem eingerissenen Reißverschluß. Sie sind die ganze Zeit da.
    Nun, im Schlafzimmer, wenn ein weißer Unterrock alles bedeckt, kann sie sich auf den Rand des Doppelbetts setzen und hinschauen. An dem Handtuch, der Unterhose, dem Unterrock und allem vorbei schaut sie auf die Terrasse, als beobachte sie die Vögel. Sie atmet erleichtert auf, weil sie nun von dem Anblick befreit ist, schielt dann aber wieder heimlich hinüber zur Mutter, aus Angst, den Moment, in dem es passieren wird, zu verpassen, weil sie sie nicht genau

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