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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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strahlend, als er die winzige Nase berührte, bevor er ihn, verwirrt, in das durchsichtige Bettchen legte.
    »Fast immer bei der ersten Geburt«, bestätigte Jo’ela.
    »Nein, ich meine, so mit Schere und Nadel und Faden?«
    »Ja, immer«, sagte Jo’ela und prüfte den langen Faden. »Und das geht vorbei. Herzlichen Glückwunsch, der Junge ist wirklich prachtvoll.«
    Herr Mu’alem hüstelte und zupfte an seinem Schnurrbart. »Danke«, wagte er erst zu sagen, als sie schon auf dem Weg zur Tür war.
    »Viel Glück«, sagte Jo’ela. »Wirklich, ich wünsche Ihnen viel Glück.«

5. Der Besuch
     
    Um sieben Uhr abends gibt es Nachrichten. Sie hat noch keine Uhr – sie wird erst in zwei Jahren eine bekommen, wenn sie Bat-Mizwa sein wird –, aber sie weiß, daß es gleich sieben ist, weil ihre Mutter wieder stehenbleibt, sich von dem Lappen aufrichtet, einen Arm auf die Hüfte stützt, den Schrubber an die Wand lehnt, seufzt und dann mit schnellen Schritten zum Wohnzimmer läuft. Dort dreht sie am Knopf, und erst ist nur ein Pfeifen zu hören. Man darf kein Wort sagen, bis die Stimme, die Worte wie »Ben Gurion« und »Sekretär der Vereinten Nationen« und ähnliche uninteressante und unverständliche Dinge sagt, wieder aufhört. Wenn dann der Satz kommt: »Sie hörten die Nachrichten«, ist das für die Mutter das Zeichen, mit dem Anziehen zu beginnen. Gleich wird der Vater kommen, und dann werden beide schnell weggehen. Das Mädchen möchte brav sein, deshalb hilft sie, ohne dazu aufgefordert zu werden, die Stühle vom Tisch mit der Resopalplatte zu nehmen. Der Stuhl ist schwer und stößt an den Kühlschrank. Die Mutter schaut schnell nach, ob auch kein Kratzer an der weißen, glänzenden Oberfläche zurückgeblieben ist. Den Kühlschrank darf man nicht zerkratzen. Man darf auch auf keinen Fall an dem breiten Griff ziehen, nur wenn man ganz saubere Hände hat, und selbst dann muß man den Griff mit dem gelben Lappen anfassen, damit das glänzende Metall keine Flecken bekommt. Mehrmals am Tag poliert ihn die Mutter, bis er richtig blitzt, und wenn man sich vorbeugt, kann man in dem Metall das eigene Gesicht erkennen, langgezogen und verzerrt. Die Mutter steht in der Küchentür und blickt sich um. Sie geht zum Spülbecken und kratzt mit dem Fingernagel etwas von den Kacheln darüber ab, und erst dann schaut sie nach, ob das Brüderchen eingeschlafen ist. Der Kleine ist nicht eingeschlafen, aber er liegt ruhig in seinem Bettchen, das früher einmal das Bett des Mädchens gewesen ist, bevor man ihr ein großes gekauft hat, und strampelt mit den Beinen, stopft sich seinen großen Zeh in den Mund und lächelt. Der Kleine sieht glücklich aus. Gleich wird die Mutter anfangen, sich anzuziehen, und wenn das Mädchen ruhig hinter ihr stehenbleibt, darf sie zuschauen. Und sie wird wieder mit eigenen Augen sehen, wie das Wunder entsteht, der große Zauber, der dazu führt, daß der scharfe Zwiebelgeruch verschwindet, die unordentlichen Haare – und dann wird plötzlich eine Art Königin vor ihr stehen, verändert und fremd. So viele Male hat sie schon zugeschaut, um zu verstehen, wie das Wunder geschieht, hat einen Schritt nach dem anderen beobachtet und trotzdem nie wirklich begriffen, wie sich die Frau, die vorhin noch den Küchenfußboden gescheuert hat, in eine verwandelt, nach der sich gleich – das weiß sie schon – die Leute auf der Straße umdrehen werden. Sie möchte es so gerne verstehen. Aber so, wie sie beim Einschlafen schon oft versucht hat, genau den Moment zu merken, in dem das Einschlafen passiert, und dann am Morgen aufgewacht ist und wieder nicht wußte, wann oder wie sie eingeschlafen war, vor allem wie, so weiß sie auch nicht, wann und wie, vor allem wie, ihre Mutter zu einer anderen Person wird. Vielleicht wird sie es diesmal begreifen, wenn sie genau aufpaßt und an nichts anderes denkt. Vielleicht wird sie diesmal den Moment erkennen, in dem die Veränderung geschieht, und damit auch den Zauber entschlüsseln können, der diese Veränderung bewirkt.
    Erst wäscht sich die Mutter. Das Mädchen weiß, daß das Wasser nicht an der Veränderung schuld ist. Schließlich wäscht sie sich selbst auch, und man wäscht ihr den Kopf, und trotzdem geschieht mit ihr kein Wunder. Es ist etwas anderes, sagt sie sich, während sie im Badezimmer steht, dessen Tür offen ist, damit die Mutter hören kann, wenn das Brüderchen anfängt zu weinen. Das Mädchen betrachtet den eingerissenen Reißverschluß an dem

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