So hell wie der Mond
störte es ihn immer ein wenig, dass sein Cousin auf so großem Fuß leben konnte, während er kaum über die Runden kam.«
Und der Mann – jemine, nicht einmal seinen Namen wusste sie mehr, denn einzig seine schrecklichen Worte hatten sich ihr eingebrannt – grinste dabei auch noch unbekümmert.
Die ganze Zeit, während sich dieser Fremde lang und breit über ihren Dad ausließ, hatte sie wortlos dagesessen und dazu genickt, wie er den Boden unter ihren Füßen beseitigte.
»Der Name Tommy Templeton stieß ihm immer sauer auf. Seltsam, wenn man bedenkt, dass am Ende er derjenige war, der dich großzog. Aber Line hat es nie böse gemeint, Katie, bloß zu draufgängerisch. Er hatte nie eine Chance, sich zu beweisen, und wenn du mich fragst, ist das das wahre Unglück gewesen.«
Das wahre Unglück, dachte Kate, wobei sich ihr Magen schmerzlich zusammenzog. Er hatte gestohlen, weil er Geld überbewertete und den einfachsten Weg zum vermeintlichen Reichtum gegangen war. So wurde er also zum Dieb, dachte sie jetzt. Zum Betrüger, der am Ende sogar die Justiz austrickste, indem er mit seinem Wagen auf eisiger Fahrbahn Vollgas gab. Seine Frau hatte er mit sich in den Tod gerissen und seine Tochter zur Waise gemacht.
Daraufhin hatte das Schicksal ausgerechnet den Mann zu ihrem zweiten Vater erwählt, der von ihrem leiblichen Vater stets beneidet worden war. Durch seinen Tod wurde sie gleichsam eine Templeton.
War es vielleicht Absicht gewesen? überlegte sie. Stand es so verzweifelt um ihn, dass er vorsätzlich sein Ende herbeigeführt hatte? Sie konnte sich kaum noch an ihn erinnern, einen dünnen, bleichen, nervösen, leicht reizbaren Menschen.
Ein Mann mit großen Plänen, dachte sie jetzt. Nicht zuletzt wegen seiner farbenfrohen Phantasien haftete er noch in ihrem Gedächtnis – seine Träume von großen Häusern, schönen Autos, lustigen Reisen nach Disney World.
Und die ganze Zeit über hatten sie in einer winzigen Unterkunft gelebt, die sich nicht unterschied von all den anderen Häuschen in ihrer Siedlung, hatten eine alte Limousine gefahren, die klapperte und ratterte, ohne dass sie sie auch nur ein einziges Mal tatsächlich auf große Fahrt trug.
Also entschloss er sich zu stehlen und wurde erwischt, ehe er zugrunde ging.
Was hatte ihre Mutter wohl getan, überlegte Kate. Was hatte sie gefühlt? War dies der Grund, weshalb sich Kate an sie vor allem als an eine Frau mit besorgtem Blick und irgendwie gezwungenem Lächeln erinnerte?
Hatte er vorher auch schon krumme Dinger gedreht? Bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt. Bloß, dass es nicht aufgefallen war? Ein wenig hier, ein wenig dort, bis die Pferde mit ihm durchgingen.
Sie erinnerte sich an Streit, meistens wegen Geld. Und, schlimmer noch, an die Stille im Anschluß an jede Auseinandersetzung. An die Stille in jener Nacht, eine schwere, schmerzliche Stille, die den Wagen erfüllte, ehe er plötzlich ins Schleudern geriet, ehe die Luft von Schreien widerhallte.
Es fröstelte sie, Kate schloss die Augen, ballte die Fäuste und kämpfte gegen einen dröhnenden Kopfschmerz an.
Nur der Himmel wusste, wie teuer ihr die Erinnerung an die Eltern war. Sie ertrug es nicht, dass diese Erinnerung nun befleckt wurde. Voll entsetzter Scham wies sie es von sich, die Tochter eines Betrügers zu sein.
Vielleicht lagen die Dinge ja auch anders, zumindest nicht so banal. Sie atmete langsam ein und wandte sich ihrem Computer zu. Mit mechanischer Effizienz klinkte sie sich in die Bibliothek von New Hampshire ein, wo sie auf die Welt gekommen war und die ersten acht Jahre ihres Lebens verbracht hatte.
Es kostete sie Zeit und Entschlossenheit, aber sie bestellte Kopien von Zeitungen aus dem Unfalljahr und erbat Auskunft über jeden Artikel, der Lincoln Powell erwähnte. Während sie wartete, kontaktierte sie den Anwalt im Osten, der damals den Verkauf des elterlichen Hauses tätigte.
Kate war ein echter Computer-Freak. Innerhalb einer Stunde hatte sie alles, was sie brauchte, schwarz auf weiß ausgedruckt. Sämtliche Einzelheiten standen dort, Einzelheiten, die ihr die von dem Anwalt übermittelten Fakten bestätigten.
Die Anschuldigungen, die Vorladung, der Skandal. Ein Skandal, so erkannte sie, den die Medien nur deshalb aufgriffen, weil Lincoln Powell mit den Templetons verwandtschaftlich zusammenhing. Die fehlenden Gelder hatten nach der Beerdigung genau die Menschen stillschweigend ersetzt. Kate war davon überzeugt die auch die Tochter im Kreis der Familie
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