So kam der Mensch auf den Hund
wirklich fragen, ob es klug gehandelt sei, unser Herz an ein Wesen
zu hängen, bei dem schon Altersschwäche und Tod eintreten müssen, ehe ein am gleichen Tage wie dieses Wesen geborener Mensch
auch nur seiner eigentlichen Kindheit entwachsen ist. Es ist eine traurige Mahnung an die rasche Vergänglichkeit des Lebens,
wenn der Hund, den man vor wenigen Jahren – es will scheinen, als seien es nur Monate – als tolpatschiges und rührendes Junges
gekannt hat, nun schon Zeichen des Alterns zu zeigen beginnt, und wenn man weiß, daß sein Tod in zwei, höchstens drei Jahren
zu erwarten ist. Ich gestehe, daß das Altern eines geliebten Hundes stets einen Schatten auf meine Stimmung geworfen hat,
daß es unter den dunklen Wolken der Sorge, die jedes Menschen Blick in die Zukunft verdüstern, eine erhebliche Rolle gespielt
hat.
Dazu kommen noch die schweren Seelenkämpfe, die jeder Herr durchzustehen hat, wenn sein Hund schließlich an einer unheilbaren
Alterskrankheit dahinsiecht und sich die finstere Frage erhebt, ob und wann man ihm die letzte Wohltat eines schmerzlosen
Narkosetodes zuteil werden lassen soll. Ich danke dem Schicksal, daß es mir diesen Kampf bisher merkwürdigerweise erspart
hat: Mit Ausnahme eines einzigen Hundes sind alle in höherem Alter eines plötzlichen und schmerzlosen Todes gestorben. Damit
aber ist nicht zu rechnen, weshalb ich es empfindsamen Menschen nicht ganz |141| verübeln kann, wenn sie angesichts des unvermeidbaren schmerzlichen Abschieds von der Anschaffung eines Hundes nichts wissen
wollen.
Eigentlich aber verüble ich es ihnen doch. Denn es ist im menschlichen Leben einfach unabänderlich, daß alle Freude mit Leid
bezahlt werden muß, und im Grunde betrachte ich jeden als einen erbärmlichen Knicker, der sich die wenigen erlaubten und ethisch
einwandfreien Freuden des Menschenlebens verkneift, aus Angst, die Rechnung bezahlen zu müssen, die ihm das Schicksal früher
oder später präsentiert. Wer mit der Münze des Leidens geizen will, der ziehe sich in eine altjüngferliche Dachkammer zurück
und vertrockne dort allmählich als ein unfruchtbares Knollengewächs, das keine Blüten treibt.
Gewiß, das Sterben eines treuen Hundes, der einen anderthalb Jahrzehnte lang durch das Leben begleitet hat, bringt schweres
Leid, fast so schwer wie der Tod eines geliebten Menschen. In einem sehr wesentlichen Punkte aber ist jenes doch leichter
zu ertragen als dieses: Der Platz, den der menschliche Freund in deinem Leben ausfüllt, bleibt leer für immer; der deines
Hundes jedoch kann wieder ausgefüllt werden. Hunde sind zwar Individualitäten, Persönlichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes,
und ich bin der letzte, der dies leugnen möchte. Aber sie sind einander doch viel ähnlicher als Menschen. Die individuelle
Verschiedenheit der Lebewesen steht in unmittelbarem, geradem Verhältnis zu ihrer geistigen Entwicklungshöhe: Zwei Fische
einer Art sind einander in allen Aktions- und Reaktionsweisen praktisch gleich; zwischen zwei Goldhamstern oder zwei Dohlen
kann ein guter Kenner ihres Verhaltens eben merkliche individuelle Unterschiede feststellen; zwei Kolkraben oder zwei Graugänse
können manchmal schon recht verschiedene Persönlichkeiten sein; in wieviel höherem Grade ist dies dann bei den Hunden der
Fall, zeigen sie doch als domestizierte Tiere auch im Verhalten eine unermeßlich größere Breite der individuellen Variation
als die genannten undomestizierten Tiere. Anderseits sind aber die Hunde in den tiefen, instinktmäßigen |142| Gründen ihrer Seele, in jenen Belangen, die ihr Verhältnis zum Herrn bestimmen, einander doch sehr ähnlich; nimmt man gleich
nach dem Tode seines Hundes ein Hundekind gleicher Rasse, so wird man in den meisten Fällen finden, daß es genau in jene Räume
unseres Herzens und unseres Lebens hineinwächst, in denen das Scheiden des alten Freundes eine traurige Leere hinterlassen
hatte.
Dieser Trost kann unter Umständen so schnell und vollkommen sein, daß man etwas wie Scham über die Treulosigkeit gegenüber
dem alten Hunde empfindet. Auch hier wiederum ist der Hund treuer als der Mensch, denn wäre der Herr gestorben, sein Hund
hätte im Laufe eines halben Jahres gewiß keinen Ersatz gefunden, der ihn tröstete! Vielleicht kommen diese Erwägungen manchem,
der moralische Verpflichtungen einem Tier gegenüber nicht anerkennen will, sentimental und geradezu lächerlich vor. Mich haben
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