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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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dessen Trittbrett
     ich stehen geblieben war, um ihr das Aufspringen zu verwehren. Ich lief rasch nach vorne, faßte Stasi an Nacken und Kreuz
     und warf sie aus dem Zug. Sie fiel geschickt auf die Füße, ohne sich zu überkugeln. Dann blieb sie stehen, aber nicht mehr
     in Drohstellung, und sah dem Zuge nach, solange sie ihn sehen konnte.
    In Königsberg erreichte mich bald beunruhigende Nachricht: Stasi habe beim Nachbarn etliche Hühner getötet, streune ruhelos
     durch die Gegend, habe ihre Zimmerreinheit verloren, folge niemandem mehr und müsse deshalb im Zwinger gehalten werden.
    Da saß sie nun in Trauer und Einsamkeit auf der Lindenterrasse. Einsam allerdings nur, was die menschliche Gesellschaft betrifft,
     denn sie teilte den eleganten Zwinger mit dem Dingorüden, von dem ich schon einiges erzählt habe.
    Ende Juni kam ich wieder nach Altenberg. Mein erster Gang war zu Stasi. Als ich die Treppe zur Terrasse emporstieg, fielen
     beide Hunde wütend über mich her, so wütend, wie nur dauernd eingesperrte Zwinger- oder Kettenhunde sein können. Ich blieb
     auf der obersten Stufe stehen und rührte mich nicht. Die Tiere prellten bellend und knurrend immer wieder gegen mich vor.
     Ich war neugierig, wann sie mich rein optisch erkennen würden, zumal der Wind von ihnen her strich, sie also keine Witterung
     haben konnten. Aber die Hunde erkannten mich nicht. Nach einer Weile bekam Stasi plötzlich Witterung und erstarrte mitten
     im Angriff zur Bildsäule. Die Mähne war noch gesträubt, der Schwanz gesenkt, die Ohren hatte sie flach zurückgelegt – nur
     die Nasenlöcher waren mit einem Male weit, weit offen und sogen gierig die Botschaft ein, welche der Wind brachte. Dann senkte
     sich die Mähne, ein Zittern durchlief den Körper des Tieres, die Ohren richteten sich steil auf. Ich erwartete, daß die Hündin
     nun in freudigem Ansturm auf mich zustürzen |23| würde; dies geschah aber nicht. Ein Seelenschmerz, der so groß war, daß er die Persönlichkeit der Hündin zerbrach, der diesen
     bravsten aller Hunde für Monate Sitte und Gesetz völlig vergessen ließ, der zu einer regelrechten Neurose geführt hatte –
     ein solcher Schmerz konnte nicht im Laufe weniger Sekunden in nichts zerrinnen. Die Hündin knickte plötzlich in den Hinterbeinen
     ein, der Kopf richtete sich aufwärts, die Nase ragte gegen den Himmel, es arbeitete im Halse des Tieres, und dann brach die
     Seelenqual aus ihm hervor, machte sich Luft in den so schaurigen und doch so ergreifend schönen Tönen des Wolfsgeheuls.
    Sie heulte eine lange Zeit, dann aber war sie wie ein Gewitter über mir, ich war gewissermaßen eingehüllt in einen Wirbelsturm
     rasender Hundefreude. Stasi sprang an mir bis in Schulterhöhe empor und riß mir fast die Kleider vom Leibe, sie, die Zurückhaltende,
     Undemonstrative, deren Begrüßung gewöhnlich in wenigen Schwanzwedlern bestand und deren höchste Zärtlichkeitsäußerung es sonst
     war, ihren Kopf auf mein Knie zu legen, sie, die Stille, pfiff nun vor Erregung wie eine Lokomotive, schrie in den höchsten
     Tönen, lauter als sie vorher geheult hatte. Dann ließ sie plötzlich von mir ab, lief an die Tür des Zwingers, blieb dort stehen,
     sah über die Schulter weg nach mir und begehrte wedelnd Auslaß. Sie setzte als selbstverständlich voraus, daß mit meiner Rückkehr
     auch ihre Gefangenschaft zu Ende sei, und ging daher zur Tagesordnung über. Glückliches Tier, beneidenswerte Robustheit des
     Nervensystems! Die Seelenstörung, deren Ursachen beseitigt waren, hinterließ bei diesem Hund keine Folgen, die nicht durch
     ein Schmerzensgeheul von etwa dreißig Sekunden und durch einen Freudentanz von einer Minute Dauer gründlich aus der Welt geschafft
     wären.
    Meine Frau sah Stasi und mich kommen. »Um Gottes willen, die Hühner!« rief sie erschrocken. Aber Stasi würdigte kein Huhn
     auch nur eines Blickes. Und als ich sie abends ins Zimmer nahm, war sie reinlich wie ehedem. Stasi konnte alles, was ich sie
     seinerzeit gelehrt hatte, sie hatte über die |24| Monate des tiefsten Unglücks, welches einen Hund treffen kann, alles treu bewahrt.
    Als schließlich die Zeit des Kofferpackens wieder heranrückte, wurde Stasi still und bedrückt und wich nicht mehr von meiner
     Seite. Es kostete das arme Tier böse Tage, da es menschliche Worte eben nicht verstand; denn selbstverständlich hatte ich
     beschlossen, sie diesmal mitzunehmen.
    Knapp vor meiner Abreise hatte sich die Hündin, wie beim

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