So muss die Welt enden
wirkten, als wären sie mit Wachs umhüllt. Seine Hände zitterten wie frierende Taranteln. Gila Guizot betrat die Glaskabine und zerrte ihn auf die Beine.
»Mister Robert Wengernook, das Gericht hat sie in allen vier Anklagepunkten als schuldig befunden und verhängt über Sie das Urteil, morgen bei Sonnenuntergang den Tod durch den Strang zu sterben.«
Gila stieß den Angeklagten zurück auf seinen Sitz.
Henker hat recht, dachte George. Eine deutliche Tendenz ist erkennbar. Aber mich betrifft sie nicht. Ich habe zuviel Glück. Krebs? hatte der Hausarzt gefragt. Ach was, das ist nur Narbengewebe. Und Justine: Ja, ich heirate dich, hatte sie geantwortet. Klar, Sie können die Stelle haben, hatte Arthur Crippen gesagt.
»Angeklagter Paxton, bitte stehen Sie auf«, ertönte Richterin Jeffersons Stimme.
Ich bin ein Überleber, dachte George. Atomkrieg, Strahlenverseuchung, Ausrottung der Menschheit, alles geht an mir vorüber.
George merkte, wie er aufstand; daß er stand, Morning ihn aus feuchten Augen anschaute.
Positiv, George! Der Schwangerschaftstest war positiv!
»Mister George Paxton, das Gericht hat Sie…«
Kein Grund zur Sorge, liebe Leutchen, jeder Säugling hat mal ’ne Ohrentzündung.
»… als unschuldig befunden…«
Unschuldig!
»…in Anklagepunkt Eins, Verbrechen gegen den Frieden, in Anklagepunkt Zwei, Kriegsverbrechen, in Anklagepunkt Drei, Verbrechen gegen die Menschheit…«
Aubrey, Morning, wir haben es geschafft!
»In Anklagepunkt Vier, Verbrechen an der Zukunft, hat das Gericht Sie als schuldig befunden und verhängt über Sie das Urteil, morgen bei Sonnenaufgang den Tod durch den Strang zu sterben.« Sichtlich zog Richterin Jefferson die Schultern ein. »Es tut mir leid, Mister Paxton. Sie sind uns nicht unsympathisch gewesen.« Ihr Hammer traf den Richtertisch ein letztes Mal. »Damit ist das Internationale Militär- und Ziviltribunal beendet.«
KAPITEL 17
Worin auf Apfelsinenbäumen Schlingen sprießen und unser Held seinem Geier wiederbegegnet
Selbst wenn George je der Aphorismus zur Kenntnis gelangt wäre, daß nichts dem Geist nachhaltiger zur Konzentration verhilft als das Wissen, am Morgen aufgeknüpft zu werden sollen, wäre sein Verstand beklagenswert unkonzentriert geblieben. Hätte eine Stenografin des Tribunals in diesen Augenblicken seine Gedanken mitgeschrieben, wären nichts als konfuse Begriffsfetzen, Aufheuler und der gleiche Singsang, den er nach Einschlagen des Sprengkopfs in seinem Heimatort improvisiert hatte, zu Papier gebracht worden: Das kann nicht wahr sein, das kann nicht wahr sein, das kann nicht…
Wie bei einem Krebskranken, der in einem medizinischen Wörterbuch nachschlägt und hofft, die üblichen Definitionen hätten sich über Nacht in günstigere Prognosen verkehrt, kreisten Georges Überlegungen ständig um das, was Richterin Jefferson zu ihm gesagt hatte, versuchten alternative Deutungen der Worte ›als schuldig befunden‹, ›morgen bei Sonnenaufgang‹ und ›Tod durch den Strang‹ zu finden. Vergeblich. Er nahm seinen Leonardo. Seine Tränen tropften auf die Farbe, so daß Aubreys Kleid zerlief. Ich muß bei alldem Würde bewahren, rief er sich ins Bewußtsein. Aber wo war die Öffentlichkeit zur Würdigung seiner Würde? In welchem Geschichtsbuch sollte man noch seinen Mut erwähnen? Er legte das Glasbildchen zurück auf den Nachttisch.
Die Mißtöne eines Schlüsselgeklappers drangen an sein Ohr, mit einem Knarren öffnete sich die Zellentür, Fackelschein warf einen Lichtkegel auf den Fußboden.
»Morning?«
Doch der Ankömmling war nur Juan Ramos, der einen großen, wie ein Stundenglas geformten Gegenstand sowie einen Teller Essen hereintrug. »Ihre Henkersmahlzeit, Sie alter Völkermörder. Und wenn Sie möchten, laß ich Ihnen diese Uhr da.«
Georges Henkersmahl umfaßte einen üppigen Berg gebratener Raubmöwe, gekochten Seelöwen sowie Mais; letzteren hatte man, so informierte ihn Ramos, »in den eisfreien Tälern in der Nähe des McMurdo-Sunds angepflanzt«. Dazu erhielt er sogar ein kleines Glas Wein – ›gegorene Pinguinlymphe‹ – und eine frische Apfelsine.
»Am liebsten würd ich allein essen«, sagte George.
»Ich bin besorgt wegen des Bestecks, Señor.« Ramos stellte die Eisuhr neben das Bild Aubreys. »Sie könnten ja versuchen, sich umzubringen, nicht wahr?«
Die Herzhaftigkeit seines Appetits befremdete und verwirrte George bis zur Peinlichkeit. Merkte sein Körper gar nicht, was sich hier
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