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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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sich nun zur Beratung und Urteilsfindung zurück.
    *
    Und so verwandelte der eisige südpolare Kontinent sich gewissermaßen in eine Arztpraxis, in dessen Wartezimmer der letzte Überrest der Menschheit ruhelos des Bescheids über den Befund harrte, ob sein kollektiver Fall tödlich sei, oder nicht.
    Bösartige Sadistenzellen in Georges Gehirn wiederholten immer wieder seine Aussage, quälten die für Schuldgefühle zuständigen Hirnzonen mit Bruchstücken der Äußerungen, die er hätte von sich geben können. Hätte ich von Justine erzählen, erwähnen sollen, daß sie sofort intuitiv durchschaut hat, wie wenig die ARES-Monturen taugten? Hätte ich mehr über Holly reden müssen? Das elektrische Pferd schildern sollen, das Gespräch über den Großen Wagen, die Mary-Merlin-Puppe daheim im Schrank? Auf alle Fälle wäre es anständig gewesen, die guten Seiten meiner Mitangeklagten stärker in den Vordergrund zu stellen…
    Er stapfte in seiner Zelle auf und ab, schrammte eine Rinne ins Eis des Fußbodens.
    Weshalb kommt deine zukünftige Ehefrau dich nicht besuchen? fragten ihn seine Spermatiden.
    Erführen die Richter es, erklärte er ihnen, wüßten sie, daß ich ihr etwas bedeute.
    Natürlich, sagten die Spermatiden. Ja freilich. Aber warum kommt sie nicht trotzdem zu Besuch?
    Keine Ahnung, gab George zu.
    Im Zeugenstand hat sie geredet, als ob sie dich nicht liebt.
    Das war nur, um unsere Verteidigung zu begünstigen.
    *
    BERATUNG DES GERICHTS NOCH IN GANG, teilten die Steilhänge des Mount Christchurch den versammelten Annulliertenlegionen mit.
    *
    »Das Spiel wird mit sieben Karten gespielt«, sagte Overwhite.
    »Wahrscheinlich berufen sie sich auf Paxtons Aussage«, meinte Henker. »Bestimmt hat das viele Geschwafel über untaugliches Gedankengut ihnen Flausen in den Kopf gesetzt.«
    »Und uns die Schlinge um den Hals gelegt«, schmollte Wengernook.
    »Ich habe mich nur an die Wahrheit gehalten«, sagte George.
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, forderte Overwhite von den anderen. Er drückte Georges Hand. »Es tut mir leid, daß Sie das alles über Ihre Kleine mitanhören mußten.«
    »Ist schon gut«, gab George zur Antwort. »Nein«, nahm er dann es zurück, »ist es nicht.«
    »Auch Krieg hat immer seine menschlichen Seiten«, sagte Henker.
    »Glauben Sie, daß die Vorführung des Geiers auf Jefferson und das übrige Gericht seine Wirkung gehabt hat?« fragte Overwhite.
    »Eindeutig«, versicherte Wengernook.
    »Das war ein exzellenter Schachzug Bonenfants«, sagte Randstable. »Absoluter Volltreffer.«
    »Er hat bewiesen, daß man nicht in einen Krieg hineinschlittert, bloß weil man militärisch stärker als vielleicht nötig ist«, erklärte Henker.
    »As«, rief Randstable.
    »Ein Pinguinei«, sagte Wengernook.
    »Zwei«, erhöhte Overwhite.
    »Wir sollten froh sein«, äußerte Henker. »Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Gericht so lange Zeit für seine Beratung braucht.«
    »So ist es nur im Film«, entgegnete Wengernook.
    »Das ist gar kein ordentliches Gericht«, sagte Overwhite.
    »Im Film sind wir hier aber auch nicht«, stellte George fest.
    »Erhöhen Sie«, verlangte Henker.
    *
    GERICHT VERKÜNDET HEUTE URTEIL, hieß es am Mount Christchurch.
    *
    Die letzte Woche an der Schule, der letzte Sommertag am Meer, die letzte Stunde einer langen Zugfahrt – all dieser Erlebnisse konnte George sich entsinnen. Bei jedem hatte die bewußte Örtlichkeit sich einer Veränderung unterzogen, sich von ihm abgesetzt, noch während er sich anschickte, sich von ihr abzusetzen. Nahezu einen Monat lang war das Eispalast-Gerichtsgebäude sein Zuhause gewesen, doch nun nahm er wieder die Erhabenheit und Fremdheit an, die er für ihn am ersten Tag gehabt hatte.
    Die Richterinnen und Richter defilierten bedächtig herein, ihre schwarzen Talare schienen die ölige Düsternis aufzusaugen, jedes Mitglied des Gerichts schnitt eine Miene, mit der es sich durch tausend Pokerrunden hätte bluffen können. Shawna Queen Jefferson, die ein beträchtlich dickes Bündel Papier und eine Biografie Abraham Lincolns unterm Arm trug, murmelte vor sich hin. Theresa Gioberti wirkte unzufrieden, Jan Woiziechowski tiefsinnig, Kamo Yoshinobu traurig.
    Sie nahmen hinter dem Richtertisch Platz.
    Eine kalte, gedämpfte Stille wie in einem Planetarium herrschte im Gerichtssaal. Georges Blick schweifte durchs Publikum, er betrachtete die Gesichter, die Schilder. Ja, da zwischen LASST UNS EIN und LEIHT IHNEN EURE STIMME saß sie, Aubreys Mutter.

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