So muss die Welt enden
›Allein der von Gott gesegnete Doktor Nostradamus kann mir heute das Leben erhalten‹, hat sie mich beschworen. ›Ausschließlich der Held von Aix und Lyon kann mir zu einem gesunden Kind verhelfen.‹ Ja, sie hat von deinen Triumphen über den Schwarzen Tod vernommen.«
»Aber von meinen Niederlagen nicht? Dieser Nostradamus, den sie so verehrt, ist weder ein rechter Katholik, noch ein wahrer Jud, noch ein wahrhaftiger Wundertäter. Bestell ihr das.«
»Wir müssen ihr christliche Nächstenliebe angedeihen lassen.«
»Meine Nächstenliebe müssen wir ihr erweisen, zu mehr wird’s nimmer langen. Nur für diese Nacht mag deine Witfrau sich in Madeleines Bett lagern. Madame Hozier ist, soweit ich Kenntnis habe, eine tüchtige Hebamme. Ich will ihr fünf Taler zahlen. Im Falle sie wider das Entgelt oder deiner Witfrau Heidentum Bedenken einwendet, sag ihr, daß ich ohne Verzug ihr Horoskop zu erstellen beabsichtige und es das denkbar schrecklichste Horoskop sein wird, ein Ausblick auf Verarmung und Gebresten.«
Anne Pons Gemmelle eilte hinaus, aber des Propheten Ungestörtheit blieb nicht von Dauer. Soviel sah er vorher: Ein Knabe sollte sich in sein Geheimkabinett verirren.
Ein Knabe schlenderte ins Geheimkabinett.
»Du willst mir deinen Namen nennen«, sagte der Prophet.
»Will ich’s?« Der Knabe zählte vierzehn Lenze, hatte einen kümmerlichen Wuchs und bräunliche Haut, unter seiner Stoffmütze hervor sproß schwarzes Kraushaar.
»Gewiß«, bekräftigte der Prophet. »Wer bist du?«
»Man ruft mich…«
»Jakob Mirabeau. Man hat deine Mutter in meiner Tochter Schlafkammer gebettet, wo sie der Niederkunft entgegenblickt. Sag an, Bursche, ist die Einladung, die deine Schritte in meine verschwiegenen Gemächer lenkte, auf mit Goldschnitt verziertes Velin oder bloß auf gemeines Papier geschrieben gewesen?«
»Was?«
»Das ist ironisch gesprochen. Die kommende Mode. Mirabile dictu, was für eine Schlappe wird Bonaparte erleiden, hat er erst Moskau erreicht!«
Der Knabe riß sich die Mütze vom Kopf. »Ich kenne Euch. Ihr seid der Mann, der im voraus erschaut, was geschehen wird. Meine Mutter sammelt Eure Almanache.«
»Erwirbt sie dieselben, oder liest sie solche lediglich auf, wo sie gerade welche findet?«
»Sie kauft sie.«
»Möchtest du eine Feige?« fragte Nostradamus erfreut.
»Merci. Meine Mutter hält gar viel auf Eure Weissagungen. Sie glaubt, Ihr seid durch Gott begnadet.«
»Man ist in bezug auf mich gespaltener Meinung. Der Pöbel zu Salon erachtet mich als Satanisten, oder etwas schlimmeres, einen Hugenotten. Oder, was ihn noch ärger anficht, einen Juden.«
»Ihr seid doch Jude.«
»Wir sind ein vortreffliches Paar, Bürschchen. Ich kann deine Zukunft sehen, und du kennst meine Vergangenheit.«
»Ich bin auch Jude.« Der Knabe mampfte die Feige.
»Posaun’s nicht hinaus. Jude zu sein ist nicht gerade der erquicklichste Lebensweg der Zukunft. Noch vermag die Inquisition nicht nach Gutdünken zu verfahren, aber schon sähe der Papst uns gern in Ghettos hausen. Laß dich taufen, das ist an dich mein Rat. Entsage deines Beharrens, ein Jude zu bleiben.«
»Könnt Ihr im Augenblick einiges der Zukunft sehen, Monsieur le Docteur, oder müßt Ihr zuvor nach den Sternbildern ausschauen?«
»Die Gestirne stehen in keinem Zusammenhang mit meinen Fähigkeiten, kleiner Jude.«
»Aber Ihr habt da ein Astrolabium.«
»Desgleichen eine Kupferschüssel, ein Dreibein und einen Lorbeerzweig. Meine Leser erwarten Brimborium zur Genüge.«
»Was seht Ihr just voraus?« fragte der Knabe, schob eine Feige zwischen Zähnen und Zunge umher.
»Du bleibst zu lang auf. Bist du dir dessen bewußt, daß ’s nahezu Mitternacht schlägt?«
»Was sonst seht Ihr vorher?«
»Mich. Wie ich ein dickes Buch schreibe.« Nostradamus schwang seine Krähen-Schreibfeder durch die Luft. »Einhundert Prophetien in ungeschlachtenen Worten und plumpen Reimen. Humbug bis zur letzten Zeile, aber der Pöbel wird dran seinen Gefallen finden. Von Tag an bis zum Ende der Welt werden Buchhändler durch wolkige und verlogene Auslegungen selbiger Strophen Vermögen einheimsen. Ich werde den Fluß Hister erwähnen, und meine Deuter werden die Behauptung wagen, ich meinte einen Mann des Namens Hitler.«
»Wer ist Hitler?«
»Du wirst von ihm nichts wissen mögen. Er beschert den Juden weitere arge Neuigkeiten.«
»Wenn Euer Buch Humbug enthalten wird, warum gedenkt Ihr’s dann zu schreiben?«
»Aus Vergnügen und um
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