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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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ich aber wissen, warum ich so gerne gesponnen habe, und was das bedeutet, wenn man gesagt bekommt: Jetzt kannst du aber nicht mehr so spinnen, jetzt ist gerade mal Schluss mit Spinnen.Was denk ich denn dann noch?
    Mir fällt gerade etwas Schönes ein, was ich vor Kurzem gelesen habe; ich finde, das passt sehr gut zu den Fragen, die mich zurzeit beschäftigen. Die Sätze stammen aus einem Buch mit dem Titel »Farabeuf oder die Chronik eines Augenblicks« von Salvador Elizondo, einem mexikanischen Schriftsteller: »Sind wir vielleicht eine Lüge? Sind wir vielleicht ein Film, ein Film, der kaum einen Augenblick lang dauert? Sind wir die Gedanken eines Wahnsinnigen? Sind wir ein Druckfehler? Sind wir vielleicht ein Zufall, der noch nicht Realität ist, der sich noch kaum in der Zeit abzeichnet? Sind wir eine Vorahnung? Eine künftige Tatsache, die sich noch nicht vollzieht? Sind wir denn ein unverständliches, an einem Regennachmittag auf eine beschlagene Fensterscheibe geschriebenes Zeichen? Eine längst vergessene Erinnerung an ein längst vergessenes Geschehnis? Sind wir Wesen und Dinge, die durch eine Form schwarzer Kunst heraufbeschworen wurden? Sind wir etwas, das man vergessen hat? Sind wir vielleicht eine Anhäufung von Wörtern? Ein Beweis, auf den niemand hört? Sind wir ein in unleserlicher Schrift übermitteltes Ereignis? Sind wir das flüchtige unwillkürliche Bild, das vor den Liebenden auftaucht in dem Augenblick, in dem sie sich finden? In dem Augenblick, in dem sie einander besitzen? In dem Augenblick, in dem sie sterben? Sind wir ein geheimer Gedanke?«

    Johanna marschiert mit ihrer Fahne durch meinen Körper.
     
    Das sind jetzt die letzten vor der endgültigen Diagnose. Ich brauche den Glauben an die Möglichkeit, dass es weitergeht. Ich habe etwas zu verteidigen. Ich zweifle gerade viel, auch an meinem Glauben. Und ich habe Angst, auf der Flucht vor dem bösen Geist, der mich bedroht, meinen Schutzheiligen zu überfahren. Das ist doch nicht ausgeschlossen, dass mir auf der Straße einer bei Nacht und Nebel vor den Karren läuft, der eigentlich der heilige Michael ist oder was weiß ich was. Ich meine das natürlich als Bild. Das heißt, ich bin auf dem Weg, zum Siegen bereit, ich kann siegen, ich habe die Kraft. Und auf der Fahrt durch die Nacht, mit der Angst im Nacken, dass es nicht klappt, überfahre ich die, die ich eigentlich mit ins Boot holen müsste.
    Aber es gibt auch den großen Frieden, auf ein Kreuz zu blicken und mich zu ergeben und fallen zu lassen. Und die Johanna marschiert manchmal mit ihrer Fahne durch meinen Körper.

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    Dienstag, 22. Januar
    Ich weiß nicht, ob ich jemals einen solchen Tag erlebt habe. Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht genau.Vielleicht einmal, in meiner Jugend, da war ich elf und habe auf einem Feld von Bauer Mewes ein Gefäß gefunden, in dem eine Taube saß. Ich habe das Ding berührt, dann gab es einen großen Knall, die Taube flog hoch und zur Seite raus – und mein Arm wäre fast in diesem Metallständer gelandet, abgequetscht.
    Es war eine Falkenfalle. Der Falke sollte runterfliegen auf die Taube, das Gerät schlägt zu, die Taube fliegt raus, er ist gefangen.
    Dr. Bauer hat uns heute in sein Zimmer geholt und war direkt bei der Sache. Er würde gern etwas anderes sagen, sagte er, aber wir haben den Befund und der ist große Scheiße.
    Das ist ein Adenokarzinom. Das muss sofort raus. Und es würde jetzt eine harte Zeit auf mich zukommen, eine verdammt harte Zeit. Das werde kein leichter Weg: Operation, Chemo und Bestrahlung, oder eben erst Chemo, dann Operation, danach Bestrahlung und dann noch mal Bestrahlung … oder Chemo. Und zu Aino hat er gesagt, dass sie erst mal nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause übernachten solle, weil sie die Kraft später bestimmt noch brauchen werde.
    Ich habe tagsüber die Dinge eigentlich nicht so ganz verstanden. Ich habe zwar geheult und viel telefoniert, viel geredet, aber ich habe nicht verstanden, was das jetzt soll, was jetzt passiert. Werde ich jetzt für irgendetwas bestraft? Warum bricht alles zusammen? Die ganze Normalität bricht zusammen. Sich ein gottverdammtes Brötchen zu besorgen, ist plötzlich nicht mehr möglich. Und wenn ich nur noch kurz zu leben habe? Nur noch mit Schläuchen und Chemos und irgendwas?
    Ich habe heute auch mal daran gedacht, mich umzubringen. Vielleicht hau ich einfach ab, dachte ich. Fliege nach Afrika, besorge mir Morphium und setze mich irgendwohin, schaue in die

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