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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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Leben füllen, jetzt wirst du halt aufgefressen. Was das sollte, hast du selbst nicht herausbekommen, aufarbeiten müssen das andere Leute. Aber du hast herausbekommen, dass du zerstörbar bist. Und das hast du am Schluss noch bis in die letzte Ader gespürt. Das ist doch was, das ist doch wenigstens eine Information! Da kann man sich drauf verlassen! Eins ist sicher: dass man zerstörbar ist.
    Worüber rede ich eigentlich? Bis in die letzte Ader – ist doch Quatsch. Natürlich will ich betäubt werden, natürlich habe ich Angst vor den Schmerzen, und wahrscheinlich springe ich der Kobra entgegen, damit sie mich beißt, und nach 15 Minuten bin ich gelähmt und ersticke. Denn die Nummer hier durchzuziehen, mit einem Rohr im Arsch, einem Röhrchen im Kopf und noch irgendwelchen anderen Schläuchen, damit ich nachher beim Bäcker noch einmal mein Mettbrötchen abholen und den Leuten erzählen kann, ja, ja, das lohnt sich, das Leben – das ist ja grauenhaft. Das kann es doch nicht sein.
    Bei mir sind gerade alle Seile und Verbindungen abgerissen. Ich würde gerne einfach nur wegdämmern. Vielleicht ist das auch genug hier, dieses Leben. Es ist trotzdem supertraurig. Es ist trotzdem so traurig.

    Aino ist gerade gegangen und hat auch ganz viel geweint. Ich glaube, dass auch sie langsam realisiert, dass das alles ein radikaler Einschnitt ist und ein anderes Leben beginnt. Ich habe eine Tablette bekommen, die mich stiller, ruhiger machen soll. Die Ungeduld, dieses Warten auf die Ergebnisse, spielt auch eine Rolle, ist ja klar.
    Trotzdem: Ich bin aggressiv und wütend und habe den Draht zu Jesus und zu Gott verloren. Ich kann nicht mehr beten, kann mit diesem Schwafelkram, mit dem ganzen Zinnober, auch mit dem ganzen pathetischen Kram, den ich da in Oberhausen abgefeiert habe, nichts mehr anfangen: Verzweiflung, Gelübde abgelegt, Himmel wird rot, Glaube erkannt, werde berufen – alles Blödsinn.Vielleicht sollte ich denen da oben einfach sagen: Kümmert euch um euren eigenen Kram und lasst mich in Ruhe. Aber möglicherweise glauben die mir einfach nicht.Vielleicht sagen die: Junge, das musst du alleine durchstehen, da können wir dir gar nicht helfen, wir haben viel wichtigere Sachen zu tun. Ich weiß es nicht.

    Gott ist ignorant. Er sagt einfach, was du da machst, interessiert mich nicht.
     
    Jedenfalls ist dasVerhältnis zu Gott und zu Jesus zerrüttet. Ich dachte, dass ich im Kern beschützt sei. Von Gottes Gnaden behütet, belohnt mit Tausenden von Möglichkeiten, gesegnet mit einem langen Leben, mit vielen, vielen Dingen, Bildern, Fragen, Antworten, Fragen, die sich aus Antworten ergeben. Und in den letzten Tagen habe ich echt geglaubt, ich bekme jetzt die große Chance zu beweisen, dass ich ein ernsthaftes Anliegen habe, dass ich in derWelt noch Wichtiges zu tun habe – und auch, dass ich die Möglichkeit bekäme, das Leben jetzt wirklich genießen zu lernen. Habe mir eingebildet, dass ich noch viele, viele tolle Momente erleben werde, mit Essen und Trinken, Natur und Musik, Liebe und Sex.
    Und das, lieber Gott, ist die größte Enttäuschung. Dass du ein Glückskind einfach so zertrittst, du bist jedenfalls gerade dabei, das zu tun. Und all die anderen Leute, die an dich glauben, zertrittst du auch, zum Beispiel die, die nach Lourdes laufen und dennoch nicht geheilt werden.
    Pure Ignoranz ist das. Gott sagt einfach, was du da machst, interessiert mich nicht, ist mir egal. Ich lege mich über dich, ich fresse mich in dich rein, ich missbrauche dich für meine Sachen, ich bringe dich einfach um die Ecke. Ist ihm völlig egal, wer ich bin, was ich mache. Wenn diese Beliebigkeit der Weg zum Glück sein soll, dann ist der Weg zum Glück einfach eine Rechenformel von Scheiße mal Pi-Quadrat.
    Ich bin zutiefst verletzt in meinem Gottvertrauen, in meiner Liebe zum Leben, zur Natur – ich will mich nur noch betrunken unter den Sternenhimmel von Afrika setzen und mich auflösen. Warum nicht? Aber dann kommt das christliche Geschwätz, seinen Mann nicht gestanden, sich der Sache entzogen, dem Problem entzogen, wir haben doch alles getan, Intensivmedizin stand zur Verfügung, und er hat sich einfach hängen lassen. Da kann ich nur sagen, bei Jesus gab es auch keine Intensivmedizin, der hat sich auch hängen lassen. Und überhaupt: Jesus am Kreuz … hat stundenlang gelitten … – das ist doch lächerlich im Vergleich zu einem Krüppel, der sein Leben lang rumliegt oder auf einem Beinstumpf durch Nepal rutscht. Der

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