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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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wirklich so, dass auch die Ärzte unsicher sind. Dass sie zwar Zellen haben, aber gar nicht genau wissen, was es für Zellen sind. Ich gehe auf jeden Fall fest davon aus, dass ich nächste Woche operiert werde. Die Operation macht ein Professor Kaiser, der wohl eine absolute Koryphäe ist. Soll einer der besten Lungentypen sein. Wenn er während der OP feststellt, dass es kein Krebs ist, dann wird das klein rausgeschnitten. Und wenn es Krebs ist, wird er eben einen Lungenlappen rausnehmen, und das war’s dann.
    Das war der Bericht von heute. Eigentlich nicht schlecht. Jetzt kokelt das Feuer noch. Es ist Viertel vor zehn, und ich gehe bald mal ins Bett. Schon anstrengend alles.

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    Samstag, 19. Januar
    Als ich heute Morgen draußen war, um mir etwas zum Frühstück zu holen, habe ich plötzlich einen Stich in der Brust gespürt. Wohl wegen der Punktion von gestern. Aber das war ein gutes Erlebnis: Dadurch habe ich erst gemerkt, wie langsam ich gehe, wie vorsichtig. In diesem Moment war mir völlig egal, ob irgendjemand neben mir schneller lief. Es ging nur darum, dass ich aufpassen musste, nicht zu schnell zu gehen. Dieses vorsichtige, langsame Gehen hat mir gezeigt, wie sehr ich auf meinen eigenen Erhalt bedacht bin. Das sagt mir ja diese kleine Schmerznummer: Christoph, kümmere dich um dich selbst! Mach jetzt keinen Scheiß!
    So wird das wohl auch nach der OP sein. Wenn ich aufwache, werde ich anders atmen. Dann darf ich nicht wie früher die Treppe raufrasen, sondern muss eben mal Aufzug fahren, darf bei Gesprächen nicht gleich losbrüllen, sondern muss mich zwingen, ruhig zu bleiben, um mich zu beschützen. Dieses Gefühl, sich beschützen zu müssen, ist wichtig – es macht einem klar, dass es nun wirklich um einen selbst geht.

    Du bist zwar, der du bist, aber für uns bist du nix.
     
    Jetzt sitze ich auf dem Sofa und versuche, ein bisschen an der Johanna-Inszenierung zu basteln. Vor ein paar Tagen in Oberhausen dachte ich, ich könnte der Figur der Johanna von Orleans irgendwelche Abgründe abgewinnen. Dachte, dass sie eine ist, die ihre Kraft aus der Berufung zieht, eine, die sagt: Ich habe einen Grund für meine Gedanken gefunden, es gibt etwas in mir, das mir erlaubt, so zu , ich mir selbst nicht traue. Dass sie auf der sei dem richtigen Bild, einem Bild, das ihr das Gefühl gibt, sinnvoll zu leben, einen Auftrag zu haben, etwas erreichen zu können. Ich habe geglaubt, dass es in dieser Oper von Walter Braunfels um den irrwitzigen Glauben gehe, eine bestimmte Religion ermögliche uns Menschen die Freiheit, die wir nur in der eigenen Autonomie finden können.
    »Ich bin, der ich bin«, das ist ja eigentlich ein großartiger Satz Gottes.Von Jesus oder einem Menschen gesagt, birgt er alle Freiheiten in sich und ist gleichzeitig extrem unfrei. Weil derjenige, der diesen Satz ausspricht, sich natürlich nur auf sich beziehen kann, und letzten Endes damit alles erfassen, aber auch im absoluten Nichts untergehen kann. Man wird ihn nicht mehr erkennen können, wenn man sagt, du bist zwar, der du bist, aber für uns bist du nix. Das ist der wahre Albtraum. Und ich dachte, das sei das, was auch eine Johanna durchmacht.
    Im Moment denke ich nur: Meine Güte, was für ein aufgeblasener Schwachsinn. Vielleicht sollte ich einfach mit Transparenten arbeiten. Da würde dann draufstehen: Hört die sich schon wieder selbst zu? Oder: Was hat die denn für Probleme?
    Es wäre gar nicht schlecht, ein Transparent runterzurollen, wo draufsteht: Jetzt mach mal halblang! Komm runter, Alte! Das wäre wirklich eine schöne Untertitelung für den Scheiterhaufen: Komm mal wieder runter, Alte! Und die Sänger liegen in Computertomografen, hinter ihnen wuchern irgendwelche Pilze, und kurze Schriftzüge flackern auf: Komm runter! Halt die Klappe! Komm mal wieder ins Bild!

    Heute Morgen ist Aino wieder zur Probe gefahren. Und natürlich habe ich sie mal wieder gebeten, sie solle bleiben, weil das jetzt die letzten Tage seien, an denen man noch einen Funken von Normalität hat. Klar weiß ich, dass das nicht stimmt, aber man könnte wenigstens so tun, als ob alles normal wäre.
    Doch sie geht eben zur Probe. Ich verstehe das alles nicht. Natürlich gibt Aino sich Mühe, rast durch die Gegend und versucht, das alles hinzukriegen. Ich würde ja wahrscheinlich auch so reagieren, ja, mein Schatz, ich liebe dich, muss jetzt aber zur Deutschen Oper, wir haben heute technische Einrichtung, um vier Uhr bin ich wieder da. Das ist eben

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