So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Landschaft, und vielleicht kommt ja eine Kobra vorbei, dann lässt man sich kurz mal beißen und erstickt.
Mit wem rede ich da eigentlich? Du sagst ja doch nix.
Ich versteh das nicht! Ich bin entsetzt! Meine Freiheit ist weg. Ich bin meiner Freiheit beraubt. Und ich habe mir eingebildet, dass mich Schutzengel beschützen.Das haben sie auch oft. Schutzengel, wenn ihr mich hört, ihr seid doch hier. Bitte macht, dass das gut ausgeht. Kein Tumor mehr im Bauch, bitte. Bitte nicht! Lass den Tumor in der Brust, dass die den da bekämpfen. Gib mir noch die Chance. Ich will doch noch ein bisschen leben. Ist mein Leben so verpfuscht? Muss das denn sein? Ich habe eine wunderbare Frau.Wir haben jetzt eine tolle Wohnung. Wir haben nette Leute, die mitarbeiten. Es gibt genug Dinge, die jetzt anstehen könnten. Ich hatte mit meinem Gelübde, ein Theater in Afrika zu bauen, sogar noch die Illusion, eine sinnvolle Idee gefunden zu haben, etwas, auf das ich von nun an hinarbeiten könnte.
Warum wird das alles jetzt kaputt gemacht? Warum? Mit wem rede ich da eigentlich? Du sagst ja doch nix. Jetzt wird alles dezimiert, die ganzen Schlingensiefs werden ausgerottet. Und vorher noch gevierteilt und gegrillt.Von wem, bitte schön? Von wem? Wer ist das? Ich bin sehr, sehr enttäuscht und traurig. Der anfängliche Schub zu Jesus und Gott geht eher wieder weg. Vielleicht kommt er wieder, wenn man ganz am Arsch ist. Aber das finde ich auch sehr, sehr schade.
Ein paar Sachen wollte ich noch ausprobieren. Und nun: 47 Jahre. Ach, ihr Heiligen und ihr, ich weiß nicht, ihr Geister: Ich bin jetzt geheilt. Ihr könnt weiterziehen … weiter … weiter … weiter …
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Mittwoch, 23. Januar
Heute ging es weiter mit Untersuchungen. Beim Ultraschall vom Bauchraum wurde wohl nichts Böses entdeckt. Doch dann kam dieses MRT vom Kopf. Ich glaube, dass sie da etwas gefunden haben. Die waren so komisch hinter dem Monitor. Einer der Ärzte kam in der Pause zu mir, spritzte das zweite Kontrastmittel und fragte: »Hatten Sie mal einen Hirnschlag oder eine Hirnoperation?« Was ist denn das für eine Frage, schoss mir da durch den Kopf. Der hatte mich doch schon vor der Untersuchung befragt, nach Herzinfarkt und Allergien und ich weiß nicht was. Da hätte er die Frage doch auch schon stellen können. Warum fragt er mich das nach zehn Minuten Gehämmer?
Ich glaube, die haben was gefunden. Und ich muss jetzt wissen, was los ist.Wenn die sagen, ja, da gibt’s hier und dort Knübbelchen, dann ist das für mich eine klare Zäsur. Wenn in meinem Gehirn schon Metastasen sind, dann ist das hier für mich vorbei, dann ist das Thema durch. Dann verschiebe ich die OP, dann lauf ich vom Pfarrer bis zum Schamanen, setz mich auf einen Ausflugsdampfer, was weiß ich, was ich mache.
Vielleicht noch die Lunge raus und Chemo, aber eine Gehirnoperation gibt’s nicht. Dann ist Verwesung angesagt. Dann wird in meinem Körper eben ein Zerfallsprodukt produziert, dann findet Auffressen statt, dann lass ich mich zerlegen. Vielleicht sollte ich mich wirklich mit guten Freunden und jemandem, der Tabletten gegen die Schmerzen hat, nach Afrika absetzen. Dort kann ich immer noch in Mikrofone reden und Gedanken äußern. Dann wird das Festspielhaus gebaut, und ich kämpfe und ich arbeite und ich saufe und ich mache. Laut, hektisch, traumatisch, grauenhaft, keine Ahnung. Und entweder liege ich dann irgendwann schreiend auf dem Boden, bitte um Hilfe und um Rückflug nach Deutschland, oder ich schlafe dort einfach ein.
Jeder Tag ist für Sie ab jetzt ein neuer Tag, den absolvieren Sie, und dann kommt wieder ein neuer Tag, sagte der Radiologe. Es geht nicht mehr um die langfristigen Pläne, so hat er es formuliert. Kann mir doch ausmalen, was der meint: ein Jahr, zwei Jahre, ein bisschen Klinik, bisschen Chemo, kotzen, schreien, würgen, dann wieder aufs Podium steigen: Hallo, ja, ich bin noch da.
Ich höre die Leute schon reden: Der wilde Schlingensief, der Provokateur, das Enfant terrible … natürlich wahnsinniger Überlebenswille … wahnsinnige Anstrengungen … hat bis zum letzten Atemzug gekämpft … am Ende dann doch in der Klinik soundso …
Das passt doch nicht. Da ist doch alles nicht zu fassen! Wie soll ich das denn schaffen, dieses Grauen zu akzeptieren und mir zu sagen: Ja, Christoph, das bist jetzt du, du wirst gerade zerlegt, löst dich in Wurmscheiße auf! Hast 47 Jahre lang Schwachsinn angerührt, das ist ziemlich üppig, damit ließen sich drei
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