So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Nacken frisierten Haaren, als wollten sie sich gegenseitig als graue Mäuse überbieten. Kein Make-up, kein Schmuck, keine bunten Farben, keine erhobenen Stimmen, nichts, was irgendwie Aufmerksamkeit erregen könnte. Sie sollten kein Aufhebens um sich selbst machen, sondern still der Gemeinschaft dienen. Leicht gebückt huschten sie in ihren flachen Schuhen herum, demütig in ihre Aufgaben vertieft. Manchmal fragte ich mich, ob sie überhaupt Beine hatten oder auf Kufen dahinglitten. Selig lächelnd schwebten sie durch den Speisesaal, in dem die Mädchen zu Mittag aßen, trugen Körbe mit frisch gebackenem Brot, Käseplatten, Äpfel und Honiggläser herein. Ich hoffte, dass meine Mum nicht da war, denn sie würde sofort wittern, dass ich mal wieder Ärger hatte.
Ich bahnte mir den Weg durch die Frauen, vorbei an einem Riesenbottich mit Joghurt, bei dessen Anblick mir fast übel wurde – eine gelblich glänzende Pampe, die an eine schleimige Meereskreatur erinnerte –, und schlich mich in die Vorratskammer, wo ich mir ein Brötchen mopste und es mir gleich in den Mund stopfte.
»Kann ich dir helfen?«, ertönte eine sanfte, leicht atemlose Stimme hinter mir. Jemand schien mir ins Dunkel der Vorratskammer gefolgt zu sein. Unmöglich zu sagen, wer es war, da alle Mütter hart an ihren sanft gehauchten Stimmen gearbeitet hatten, um ihre spirituelle Erleuchtung unter Beweis zu stellen.
Es war Kates Mum, die mich mit missbilligend hochgezogener Augenbraue musterte. Sie glaubte alles, was über mich erzählt wurde, und das nahm ich ihr übel.
»Ich soll Tee machen«, sagte ich. »Für Miss Fowler und Mr Mercer.«
Das schien sie zutiefst zu beeindrucken – ein Ausdruck braver Ergebenheit breitete sich auf ihren Zügen aus. »Dann tu das auch, bitte.« Ein stählerner Unterton hatte sich in ihr Hauchen geschlichen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Bei ihrem Mann, Kates Dad, hatten wir Geometrie. Als ich vor ein paar Wochen bei ihnen zu Hause gewesen war, hatten Kate und ich einen Stapel Sexhefte in seinem Arbeitszimmer gefunden, mit Bildern von Frauen mit weit gespreizten Beinen und gigantischen Brüsten, die alle möglichen Sachen mit sich anstellten. Ich starrte sie an und versuchte, ihr mit meinem Blick zu verstehen zu geben, dass ich ihren Mann in der Hand hatte, doch sie scheuchte mich mit dem Ellbogen aus der Kammer.
In diesem Augenblick schienen alle mitten in der Bewegung innezuhalten. Das Mittagessen war vorüber. Die Frauen unterbrachen ihre Tätigkeiten, stellten die Körbe ab, unterbrachen den Abwasch, hörten auf, den Boden zu wischen und Teig zu kneten. Durch die Glastür des Speisesaals sah ich, wie die Mädchen ihre Bestecke niederlegten, die Hände zum Gebet an die Stirn brachten, wobei sie mit den Daumen ihr drittes Auge berührten. Die Mütter in der Küche machten dasselbe, nur besser; sie hoben die Ellbogen noch höher an, ohne ihr drittes Auge zu streifen. Ich hob ebenfalls die Hände und spähte an meinen Unterarmen vorbei. Ich fand es widerwärtig, wie die Mütter die Augen schlossen, als seien sie Reptilien, und die unteren Lider hochzogen, sodass sie zitterten, als würden sie eine transzendente Erfahrung machen.
»Wir danken dir, Govinda, für unsere Mahlzeit, und wandeln in deiner Wahrheit.« Dann folgte der Sanskrit-Singsang, dessen Bedeutung niemand von uns kannte, obwohl wir ihn schon unser ganzes Leben lang bei jeder sich bietenden Gelegenheit herunterbeten mussten.
Durch die Glasscheibe traf sich mein Blick mit Megans. Inzwischen waren wir Spezialistinnen im Lippenlesen. Sie erklärte, dass sie und Amy, die neben ihr saß, mir etwas zu essen mitbringen würden. Ich sagte ein lautloses Danke, woraufhin sie mit dem Kopf wackelte und Schielaugen machte, um mich zum Lachen zu bringen. Mrs Gentle, die es mitbekam, verpasste ihr prompt einen Klaps auf den Hinterkopf.
Ich hatte keine Ahnung, wie man Tee zubereitete, da wir zu Hause keinen tranken. Aber ich hatte schon Dutzende von Malen beobachtet, wie Teetabletts durchs Haus getragen wurden, und war mir deshalb meiner Sache ziemlich sicher. Ich nahm eine kleine weiße Teekanne und stellte sie auf ein Tablett. Ich fand eine Dose mit Teeblättern und nahm den Kessel von der Herdplatte. Da ich nicht an den Wasserhahn herankam, füllte Kates Mum Wasser in den Kessel und stellte ihn wieder auf den Herd. Der Herd war pure Verschwendung, denn er wurde lediglich benutzt, um Wasser zu erhitzen. Es war uns nicht erlaubt, Essen zu kochen
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