So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
auch mit einem unüberhörbar bekümmerten Unterton. Allem Anschein nach war die Geschichte, die mein Gesicht erzählte, nicht ganz so angenehm und unbeschwert.
»Megan, ich fasse es nicht! Du siehst noch genauso aus wie damals!«, rief ich. Es war mir nicht einmal peinlich, dass Joe mich in einem so … gefühlsduseligen Zustand sah. Meine Nervosität war wie weggeblasen. Es fühlte sich richtig und gut an, so als wäre ich endlich nach Hause gekommen.
»Nein, tue ich nicht! Erst neulich habe ich ein graues Haar entdeckt!« Sie lachte und drückte mich aufs Neue an sich, ehe sie sich zu Joe umwandte.
»Joe? Bist du Joe?« Ich hatte völlig vergessen, wie charmant sie sein konnte. »Gute Wahl, Caroline!«, lobte sie mit hochgezogener Braue. Und genauso sah er auch aus. Für den Bruchteil einer Sekunde gelang es mir, ihn mit den Augen einer Fremden zu betrachten – diesen großen, coolen, schwarzen Kerl. Eine Woge der Liebe durchströmte mich. Es war gut. Alles war gut.
Lachend ließ auch er sich von ihr in die Arme schließen. Ich war froh, dass er mitgekommen war, sodass auch ich so etwas wie eine Familie vorzuweisen hatte. Noch immer hielt ich Megans Miniaturausgabe auf dem Arm und stellte fest, dass es sich anfühlte, als wäre es das Natürlichste der Welt. Ich wünschte beinahe, ich wäre selbst schwanger geworden und hätte meine eigene Miniaturausgabe.
Joe begrüßte die anderen Kinder und stellte ihnen Tilly vor, während wir hineingingen.
Von innen sah das Cottage noch beinahe so aus wie früher – schnörkellos und schlicht möbliert mit zwei Sofas, einem Armsessel, einem Holztisch, einem Klavier und einem Schreibtisch. Und noch immer hing der leise Geruch der Organisation in der Luft, nur dass die Heiligenbilder an den Wänden durch Aquarelle irgendwelcher Freunde ersetzt worden waren. Im Kamin knisterte ein Feuer.
»Wie viele von denen gehören denn dir?«, fragte ich Megan und ließ den Blick über die Kinderschar schweifen.
»Nur zwei!«, erklärte sie strahlend. »Diese beiden hier!« Sie zeigte auf einen der Teenager, einen hochgewachsenen hübschen Jungen von etwa fünfzehn Jahren. »Und unsere Nachzüglerin.« Liebevoll zerzauste sie dem Mädchen auf meinem Arm das Haar. »Caroline.«
Abrupt blieb ich stehen, verkniff mir jedoch einen Kommentar, weil ich nicht überheblich wirken wollte. Schließlich waren seit unserer Begegnung viele Jahre vergangen.
»Nach dir benannt«, fügte Megan lächelnd hinzu. Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Allerdings verschwieg ich geflissentlich, dass es nicht länger mein Name war.
»Die anderen gehören alle Amy und Marcus.«
»Tatsächlich?« Ich ließ den Blick über die Kinder schweifen. Nichts führt einem deutlicher vor Augen, wie schnell die Jahre vergangen sind, als die Kinder der Freunde. An ihnen erkennt man die Kürze des eigenen kleinen Lebens.
»Wo ist denn Amy?«
»Sie zündet den Kamin in eurem Haus an.«
Wieder ging die Tür auf, und ein Mann kam herein – groß, gut aussehend mit dunklem Haar, einer Brille und einem Bündel Holz auf dem Arm. Er warf mir ein breites Lächeln zu, warmherzig und vertraut, bei dessen Anblick mein Herzschlag stockte.
»Ich glaube es nicht!«, sagte ich. »Das ist ja Mr Steinberg. Wie kommt er denn hierher?«
Alle lachten, während ich mich nur fragen konnte, was daran so lustig war. Ich spürte die Blicke aller auf mir ruhen.
»Er ist mein Ehemann«, sagte Megan.
Mir fehlten die Worte. Ich begann zu analysieren, was ihre Worte in mir ausgelöst hatten, und stellte fest, dass es eine ganze Reihe an Regungen war; das vorherrschende Gefühl war jedoch die Ungläubigkeit angesichts ihres Verrats. Megan hatte Mr Steinberg geheiratet? Ausgerechnet den Mann, der absolut tabu war. Sie hatte genau gewusst, wie tief meine Liebe für ihn war. Ich war doch sein Griechisch-Mädchen.
Es lag auf der Hand, dass ihr ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen, denn einen kurzen Moment lang, als alle um uns herum schallend lachten, konnte sie sich nicht überwinden, mir in die Augen zu sehen, und als sie es am Ende tat, sagte sie etwas, was ohnehin jeder sehen konnte.
»Nate! Caroline und Joe sind da!«
Nate. Sie nannte ihn Nate. Noch nicht einmal Nathaniel.
»Das sehe ich!«, entgegnete er, während sich unsere Blicke begegneten.
Ich konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Er hatte sich so gut wie nicht verändert, sondern war noch immer genauso schön wie in meiner Erinnerung,
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