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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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gesagt, dass du nicht über die Vergangenheit sprichst. Caroline, es tut mir leid. Marcus hat sie gestern eingeladen. Also, es ist die dritte Abzweigung auf der linken Seite. Soll ich runterkommen und euch holen?«
    »Nein, wir finden es schon.« Ich klappte mein Handy zu. Meine Hände zitterten. Ich zündete mir eine Zigarette an und stieg wieder ein.
    »Joe. Können wir umkehren und nach Hause fahren?«, fragte ich, als er den Motor anließ.
    »Was?«
    »Können wir nach Hause fahren?«
    »Wieso?«
    »Ich kann das nicht.«
    »Hat es etwas mit ihr zu tun?«, fragte er. Offensichtlich hatte er gelauscht. Ich erwiderte nichts.
    »Und, nein, wir fahren nicht nach Hause zurück. Ich bin nicht fünf Stunden hergefahren, nur um jetzt wieder umzukehren. Welche Abzweigung ist es?«
    »Die dritte rechts«, antwortete ich. Konfrontieren , sagte ich mir. Eine direkte Konfrontation war der einzige Ausweg. Ich klappte die Sonnenblende herunter und sah in den Spiegel, um herauszufinden, welche Spuren die vergangenen fünfundzwanzig Jahre in meinem Gesicht hinterlassen hatten.
    »Da ist es!«, sagte ich, als wir den Hügel wieder hinauffuhren. Die Straße war leicht zu übersehen.
    »Halt an!«, sagte ich, als er eingebogen war. Er gehorchte.
    Ich blickte zu den um einen Vorplatz arrangierten Häuschen hinauf. Der Vorplatz wurde von vier altmodischen Lampen erhellt – grauer Flintstein, graue Schieferdächer, Holztüren. Die Häuser hatten einst als Schweineställe gedient, bevor Amys Vater sie umgebaut hatte, und sahen noch genauso aus wie früher. In der Mitte des Hofs hing eine Schaukel mit Holzsitzen an einem hölzernen Gestell. Auch sie war allem Anschein nach unverändert. Jenseits der Hausdächer schoben sich weiße Wolken über die Mondsichel.
    »Hier entlang, bis die Straße aufhört!«
    Wir fuhren an ein paar neuen Häusern vorbei, an die ich mich nicht erinnern konnte, und blieben vor dem Haupthaus stehen. Eine Lampe auf der Veranda ging an. Ich stieg aus dem Wagen, dicht gefolgt von Joe. Tilly sprang wie der Blitz vom Rücksitz. Die Tür des Cottage ging auf, und zwei kleine Gestalten kamen herausgelaufen, dann zwei weitere, kaum größere, gefolgt von zwei Erwachsenen.
    Die kleinste Gestalt rannte den Weg herunter auf uns zu. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Kinder waren eine fremde Spezies für mich. Das Kind lief geradewegs auf mich zu und warf sich in meine Arme, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als es aufzufangen. Es klammerte sich an mich und schlang mir die Ärmchen um den Hals. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals vorher ein Kind auf dem Arm gehabt zu haben, und mir war nicht bewusst gewesen, dass sie derart entwaffnend sein konnten. Es war ein Mädchen mit großen braunen Unschuldsaugen, das mich unverblümt ansah. Ich hielt sie ein Stück von mir weg, um ihr offenes, glückliches Gesichtchen zu betrachten, das weiche Haar, das im Schein der Verandalampe glänzte, und die zahllosen Sommersprossen auf ihrer Nase. O Gott. Es war Megan. Meine geliebte Megan. Mit einem Mal war ich wieder vier Jahre alt. Ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete, und dankte Gott, dass es dunkel war.
    »Du musst Megans kleines Mädchen sein!«
    »Meine Mami!«, erwiderte sie und deutete auf das Haus.
    Ich sah auf und erkannte eine kleine, dickliche Frau auf der Veranda, die mit einem entzückten Schrei auf mich zugelaufen kam. Wir fielen einander in die Arme, so fest, dass wir um ein Haar ihre Tochter zerquetscht hätten. Wie konnten fünfundzwanzig Jahre innerhalb eines Wimpernschlags vergessen sein? Wie war es möglich, dass all die Jahre mit einem Mal bedeutungslos zu sein schienen, fast wie ein Traum? Wie vertraut sie mir war! Wie herrlich es sich anfühlte, sie in den Armen zu halten, ihren Geruch einzuatmen – nach Teig und Milch! Sie schob mich von sich, so dass wir einander ansehen konnten. Tränen schwammen in ihren verschmitzten braunen Augen. Tastend berührten wir einander, als wären wir Blinde. Ich kannte ihr Gesicht ebenso gut wie mein eigenes, jede noch so kleine Gefühlsregung, die sich darauf widerspiegelte.
    Sie schob mich ins Licht und musterte mich eingehend. Sie hatte nach wie vor dieselben offenen, unschuldigen Züge – ein paar Krähenfüße, ansonsten war sie immer noch genau dieselbe. Ihr Gesicht erzählte die Geschichte eines glücklichen, unbeschwerten Lebens. Nichts deutete auf irgendeine Tragödie hin.
    »Oh, meine wunderschöne Caroline!«, sagte sie leise, wenn

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