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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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wenn nicht sogar noch schöner. Das Alter stand ihm gut, fand ich, obwohl er mittlerweile siebenundvierzig sein musste. Allerdings hatte der Altersunterschied inzwischen jede Bedeutung verloren. Er trat auf mich zu und schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Caroline Stern!«
    Mein Name hörte sich so wunderschön an, als er ihn genüsslich mit diesem leicht lispelnden Akzent aussprach, dass ich ihn am liebsten auf der Stelle wieder angenommen hätte.
    Nun war es an mir, etwas völlig Idiotisches zum Besten zu geben. »Sie haben ja eine neue Brille!«
    Alle lachten. Alle bis auf ihn. Stattdessen lächelte er mich an. »Stimmt«, erwiderte er, als hätte ich etwas bemerkenswert Kluges gesagt. »Damals hatte ich noch dieses alte Sozialarbeiterding auf der Nase, stimmt’s?« Es war unüberhörbar, dass er sie in liebevoller Erinnerung hatte.
    Er beugte sich vor, als wolle er mich küssen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt; so als wären wir uns in den letzten zwanzig Jahren ständig bei irgendwelchen Dinnerpartys begegnet. Und er tat es auch. Mr   Steinberg küsste mich, wenn auch auf eine etwas umständliche Weise; nicht zuletzt wegen der Holzscheite auf seinem Arm und wegen Caroline, die sich noch immer an mich klammerte. Unsere Begrüßung endete mit einer leicht missratenen Umarmung, in deren Verlauf seine Tochter von meinem auf seinen Arm wechselte.
    »Mr   Steinberg«, sagte ich und spürte, wie meine Wange noch immer von der Berührung seiner Haut glühte. »Das ist Joe!«
    »Du brauchst ihn nicht mehr Mr   Steinberg zu nennen!« Megan lachte, als hätte ich einen rasend komischen Witz gerissen.
    »Wie denn sonst?«, fragte ich und wandte mich ihr zu. »Schließlich kenne ich ihn nur als meinen Lehrer.«
    Mit dieser Bemerkung hatte ich ihr wehtun wollen. Sie sollte endlich aufhören, über mich zu lachen.
    »Dein Lehrer?«, wiederholte Joe, der Mr   Steinberg in diesem Moment die Hand schüttelte.
    »Caroline.« Megan nahm meine Hand und zog mich ein weiteres Mal an sich. »Es ist so schön, dich zu sehen.« Sie kniff mich in die Wangen. Eine Spur zu fest. Das hatte sie früher schon immer getan. »Was ist aus dir geworden?«, fragte sie und schüttelte mich wie eine Gliederpuppe. »Wie war’s in Schottland?«
    Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sie redete.
    »Schottland?«
    »Bei deinen Verwandten. Wieso hast du dich denn nie gemeldet?«
    Das hatten meine Eltern also allen erzählt. Wie sich herausstellte, waren wir alle elende Lügner.
    Es gab nur ein Gegenmittel – Alkohol. Und zwar so viel, bis ich betrunken war.
    Und genau das tat ich auch. Ich betrank mich so sehr, dass ich ohne Hilfe den Weg zu unserer Hütte nicht mehr schaffte. Joe trug mich halb hinüber, obwohl ich glaube, dass auch er reichlich angetrunken war. Ich rutschte ununterbrochen auf dem matschigen Boden aus und spürte, wie mir das Blut aus einer Wunde am Knie sickerte, die ich mir beim Stolpern über einen Stein zugezogen hatte. Meine einzige Navigationshilfe bei unserem Marsch durch die Finsternis war das Leuchten von Tillys weißem Hinterteil.
    Solange wir im Haupthaus gewesen waren, hatte ich mich zusammengerissen. Ich hatte nur staunen können, wie fröhlich und amüsant ich gewesen war und mit welcher Mühelosigkeit ich in meine alte Rolle des Klassenclowns geschlüpft war, während ich sämtlichen Anwesenden insgeheim am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Sie waren immer noch dabei: Megan, Mr   Steinberg, Marcus und seine Frau gehörten bis zum heutigen Tag der Organisation an. Nur Amy hatte den Absprung geschafft.
    Während ich nach außen hin meine Witze riss, rang ich innerlich mit zwei niederschmetternden Neuigkeiten – Megan hatte Mr   Steinberg geheiratet. Und sie alle waren bis heute dabei. Herzlichen Dank auch, Amy.
    Den ganzen Abend hindurch hatte ich immer wieder auf Megans Verrat angespielt, auch wenn sie noch so hartnäckig versucht hatte, das Thema zu wechseln.
    »Seid ihr all die Jahre dabeigeblieben?«, erkundigte ich mich. »Und habt kein einziges Mal versucht, den Laden zu verlassen?«
    »Nein. Nie. Sieh mich doch nicht so an!«, lachte sie. »Marcus hat auch nie Anstalten gemacht, wegzugehen! Kate und Joanna auch nicht. Viele von uns sind noch dabei.«
    »Und wer nicht?«
    »Oh, Deborah ist irgendwann ein bisschen abgedreht«, erklärte sie unbekümmert. »Und Anna ist ausgestiegen. Sie wurde auch irgendwie seltsam.«
    Wie konnte sie so flapsig über die beiden reden? Wohl wissend, dass

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